Handwerksinnung – nur mit Tarifbindung

Die gesetzliche Konzeption der Mitgliedschaft in einer Handwerksinnung schließt es aus, dem Mitglied eine Wahlmöglichkeit darüber zu belassen, ob es durch die von der Innung geschlossenen Tarifverträge gebunden sein will.

Handwerksinnung – nur mit Tarifbindung

Im hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall sollten sich die einzelnen Innungsmitglieder nach der Satzung der Innung bei ihrem Eintritt oder während ihrer Mitgliedschaft für eine gegenüber der sonst bestehenden Vollmitgliedschaft gesonderte Mitgliedschaftsform ohne Bindung an Tarifverträge der Innung entscheiden können. Eine solche Wahlmöglichkeit ist mit der gesetzlichen Konzeption der Vollmitgliedschaft in einer Innung nach § 58 HwO nicht in Einklang zu bringen. In einer Handwerksinnung werden Inhaber eines Handwerksbetriebes oder eines handwerksähnlichen Gewerbebetriebes zur Förderung ihrer gemeinsamen gewerblichen Interessen nach ihrem freien Beitrittsentschluss zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zusammengeschlossen (§§ 52, 53 HwO). Der Gesetzgeber hat zwar insbesondere zur Wahrung der Tarifautonomie davon abgesehen, eine Pflichtmitgliedschaft in der Innung einzuführen oder zu ermöglichen[1]. Die freiwillig erworbene Vollmitgliedschaft nach § 58 HwO zieht jedoch alle Rechte und Pflichten nach sich, die sich aus der gemeinsamen Wahrnehmung der zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen in § 54 HwO festgelegten öffentlichen Aufgaben der Innung ergeben. Die Innungsmitgliedschaft ist auf gleiche Mitwirkung an allen wesentlichen Angelegenheiten der öffentlich-rechtlichen Personalkörperschaft angelegt. Der historische Gesetzgeber hat mit der Zugehörigkeit zu einer Innung die gemeinsame, im Grundsatz unteilbare Verantwortung für die Erfüllung der den Innungen gesetzlich anvertrauten Aufgaben verknüpft. Dabei ist unerheblich, ob es sich nach § 54 HwO um Pflichtaufgaben, Soll-Aufgaben oder Kann-Aufgaben handelt. Der mit der Vollmitgliedschaft hergestellte Zusammenhang zwischen Vorteilen und Bindungen aus der Innungsmitgliedschaft kann nicht durch eine Willenserklärung des einzelnen Mitglieds aufgelöst werden, mit der es als nachteilig empfundene Folgen aus der Wahrnehmung einzelner Aufgaben der Innung für sich ausschließen, an den übrigen Ergebnissen der Innungstätigkeit hingegen teilhaben möchte (vgl. § 58 Abs. 4 HwO).

Die Innung kann ihre freiwillige Aufgabe, Tarifverträge abzuschließen, soweit und solange solche Verträge nicht durch den Innungsverband für den Bereich der Handwerksinnung geschlossen sind (§ 54 Abs. 3 Nr. 1 HwO), nur für alle Vollmitglieder der Innung gemeinsam wahrnehmen. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung der Handwerksordnung an die historisch überkommene Tariffähigkeit von Innungen angeknüpft. Die Verleihung der Tariffähigkeit an Innungen begünstigt in dem von kleinen Betrieben geprägten Bereich des Handwerks den Abschluss von Tarifverträgen. Das Zustandekommen einer umfassenden tariflichen Ordnung wird gerade dadurch befördert, dass Tarifverträge nach § 54 Abs. 3 Nr. 1 HwO durch eine mit den Vorteilen der beruflichen Förderung verbundene und deshalb auch für Inhaber kleinerer Handwerksbetriebe attraktive öffentlich-rechtliche Körperschaft abgeschlossen werden können[2]. Der gesetzgeberische Zweck, einen hinreichenden Schutz der Beschäftigten in den zumeist vergleichsweise kleinen Handwerksbetrieben zu erreichen, kann nur gewährleistet werden, wenn nicht jedes einzelne Mitglied seine Tarifgebundenheit durch Erklärung ausschließen und gleichzeitig die fachlich-berufsständischen Vorteile der Mitgliedschaft in der Innung genießen kann. Eine individuelle Ausschlussmöglichkeit würde schon wegen des hohen Konkurrenzdrucks im Handwerk und des dadurch ausgelösten Anreizes, eine Bindung an Tariflöhne möglichst zu vermeiden, dazu führen, dass Tarifabschlüsse der Innungen nur einen begrenzten Wirkungsbereich hätten. Dies würde die vom Gesetzgeber bezweckte Stellung der Innung als Tarifpartner, der an der Herstellung einer umfassenden tariflichen Ordnung im Handwerk mitwirkt, schwächen und die in der Aufgabenzuweisung an Innungen angelegte Verknüpfung ihrer Tätigkeitsbereiche durchbrechen. Die Innung kann die gesetzlich vorgegebene Verknüpfung fachlicher Aufgaben mit der Befugnis zu tariflicher Tätigkeit in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft nicht durch Satzung auflösen. Ob angesichts gewandelter Verhältnisse im Arbeitsleben und der zunehmenden Verbreitung tarifungebundener Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden eine Lockerung des historisch gewollten Zusammenhangs zwischen berufsständischer Aufgabenwahrnehmung und tariflicher Tätigkeit der Innungen ermöglicht werden soll, bleibt der Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers vorbehalten.

Auch aus der Subsidiarität der Tarifbefugnis der Innung gegenüber der Tarifbefugnis des Landesinnungsverbandes folgt, dass die Innung innerhalb ihrer Zuständigkeit Tarifverträge nur für sämtliche Vollmitglieder abschließen darf. Die in der Rechtswirklichkeit vorrangig als Tarifpartner im Handwerksbereich auftretenden Landesinnungsverbände können nach § 82 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 3 HwO zum Zweck der Förderung der den Handwerksinnungen angehörenden Mitglieder Tarifverträge abschließen. Diese Befugnis ist ihnen im Interesse sämtlicher und nicht nur eines Teils der Mitglieder der Innungen in ihrem Bezirk anvertraut. Wenn der Gesetzgeber Innungen nach § 54 Abs. 3 Nr. 1 HwO die Tarifbefugnis lediglich verliehen hat, soweit und solange der Innungsverband für ihren Bereich solche Verträge nicht geschlossen hat, stellt dies einen inhaltlichen Bezug zur Tarifbefugnis der Innungsverbände her und bedingt, dass auch Tarifverträge der Innungen für sämtliche Innungsmitglieder zur Förderung ihrer gewerblichen Interessen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 HwO) abgeschlossen werden müssen.

Die von der Handwerksinnung beschlossene Satzungsregelung, wonach tarifpolitische und mit ihnen in Zusammenhang stehende sozialpolitische Entscheidungen von einem sozialpolitischen Ausschuss getroffen werden, verletzt zudem die in § 61 HwO niedergelegten Rechte der Innungsversammlung als zentralem Beschlussorgan der Innung, in dem sämtliche Innungsmitglieder an Entscheidungen mitwirken.

Nach § 37 Abs. 4 der geänderten Satzung der Handwerksinnung hätte ihre Innungsversammlung einen nur aus sogenannten T-Mitgliedern bestehenden Ausschuss zu schaffen, dem sämtliche tarifpolitische Entscheidungen übertragen würden. Eine solche umfassende Verlagerung einer gesamten in § 54 HwO genannten Aufgabe von der Innungsversammlung auf einen Ausschuss käme einer Umgehung des für die Innung wesensprägenden Grundsatzes gleicher Mitwirkung aller Mitglieder in der Innungsversammlung als Hauptorgan gleich. Die Innungsversammlung steht an erster Stelle in der Aufzählung der Organe der Innung (§ 60 HwO) und beschließt bei gleichem Stimmrecht aller Mitglieder (§ 63 Satz 1 HwO) über alle Angelegenheiten der Handwerksinnung, soweit diese nicht vom Vorstand oder in den Ausschüssen wahrzunehmen sind (§ 61 Abs. 1 Satz 1 HwO). Die nicht abschließende („im besonderen“) Aufzählung der ihr vorbehaltenen Entscheidungen in § 61 Abs. 2 HwO verdeutlicht, dass die Innungsversammlung für alle wesentlichen Entscheidungen Verantwortung tragen und sich bei der Willensbildung und Beschlussfassung auf die in §§ 62 und 63 HwO vorgesehene Mitwirkung sämtlicher Mitglieder stützen soll.

Zwar darf die Innungsversammlung besondere Ausschüsse zur Vorbereitung einzelner Angelegenheiten einsetzen (§ 61 Abs. 2 Nr. 5 HwO) und darüber hinaus fakultative Ausschüsse zur Wahrnehmung, d.h. vollständigen Erledigung einzelner Angelegenheiten bilden (§ 67 Abs. 1 HwO). Eine Übertragung einer gesetzlichen Aufgabe von nicht lediglich untergeordneter Bedeutung auf einen solchen Ausschuss überschreitet jedoch den in § 67 Abs. 1 HwO gezogenen Rahmen einer „einzelnen Angelegenheit“. Durch die Befugnis, zur Erledigung einzelner Angelegenheiten einen Ausschuss einzusetzen, soll die Innungsversammlung von Einzelfallentscheidungen entlastet werden können, welche die Grundlinien der Aufgabenerfüllung der Innung nicht berühren und deshalb nicht die Mitwirkung aller Mitglieder erfordern. Die Innungsversammlung trägt als Hauptorgan die wesentliche Verantwortung für die Wahrnehmung der Pflicht, Soll- und Kann-Aufgaben der Innung. Die Zuständigkeit eines fakultativ eingerichteten Ausschusses muss sich daher auf Einzelentscheidungen von untergeordneter Bedeutung gegenüber den Grundlinien der Innungstätigkeit beschränken.

Danach ist eine Verlagerung tarifpolitischer Entscheidungen im Ganzen auf einen Ausschuss, dem zudem nur bestimmte (nämlich tarifgebundene) Mitglieder angehören dürfen, nicht zulässig. Auch wenn die Innung nach § 54 Abs. 3 Nr. 1 HwO über den Gebrauch ihrer Tarifbefugnis disponieren darf, hat der Abschluss von Tarifverträgen nicht lediglich untergeordnete Bedeutung für die Innungsmitglieder. Das folgt schon daraus, dass er die Innung im Außenverhältnis zum jeweiligen Tarifpartner rechtlich bindet. Die in der Handwerksordnung vorgesehene Organisation der Willensbildung in einer Innung schließt es somit aus, tarifpolitische Angelegenheiten insgesamt der Mitwirkung der Innungsmitglieder in der Innungsversammlung zu entziehen und lediglich einer bestimmten Gruppe von Vollmitgliedern vorzubehalten.

Darüber hinaus verstößt die in § 37 Abs. 4 der Satzung der Handwerksinnung vorgesehene Befugnis des sozialpolitischen Ausschusses, Rücklagen für sozialpolitische Maßnahmen zu organisieren und über etwaige Streik- und/oder Aussperrungsfonds zu verfügen, gegen die in § 61 Abs. 2 Nr. 1 HwO festgelegte Haushaltsbefugnis der Innungsversammlung.

Mit der Zuständigkeit der Innungsversammlung für die Feststellung des Haushaltsplans und die Bewilligung von Ausgaben, die im Haushaltsplan nicht vorgesehen sind, kommt ihr eine umfassende Verantwortung für die Einnahmen- und Ausgabenbewilligung in der Innung zu. Die Innung unterliegt als Körperschaft des öffentlichen Rechts den Grundsätzen einer geordneten Haushaltsführung[3] und damit insbesondere dem Grundsatz der Vollständigkeit und Einheit des Haushalts des jeweiligen Aufgabenträgers (vgl. § 11 BHO und die entsprechenden Regelungen in den Landeshaushaltsordnungen, z.B. § 11 Niedersächsische LHO i.d.F. vom 30.04.2001, Nds. GVBl.2001 S. 276). Dieser Grundsatz schließt die Führung von Nebenhaushalten aus, die nicht vom zentralen Beschlussorgan für die Einnahmen und Ausgaben des betreffenden Rechtsträgers angenommen worden sind und der für diesen Träger gesetzlich vorgesehenen rechtlichen und wirtschaftlichen Prüfung unterliegen[4]. Deshalb fällt auch die Veranschlagung und Verfügung über die für tarifpolitische Maßnahmen vorgesehenen finanziellen Mittel der Innung in die Zuständigkeit der Innungsversammlung, in der alle Vollmitglieder mitwirken. Die in §§ 61 und 63 HwO vorgegebene Organisationsstruktur der Innung schließt es aus, solche Entscheidungen einer bestimmten Gruppe von Mitgliedern vorzubehalten.

Einem Genehmigungsanspruch der Handwerksinnung steht zudem entgegen, dass ihre Satzung keinen ausreichenden Schutz der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie gewährleistet, weil sie eine unmittelbare Einflussnahme tarifungebundener Mitglieder auf tarifpolitische Entscheidungen der Innung nicht vollständig ausschließt. Zu den von der Beklagten bei der Genehmigung der Satzungsänderung der Innung nach § 61 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 8 und § 56 Abs. 2 Nr. 1 HwO zu beachtenden gesetzlichen Vorschriften gehören über die in der Handwerksordnung enthaltenen Regelungen hinaus alle rechtlichen Anforderungen an die Aufgabenwahrnehmung der Innung. Dazu zählen auch die verfassungs- und arbeitsrechtlichen Anforderungen an die in der Innungssatzung vorgesehenen Erklärungen von Innungsmitgliedern hinsichtlich ihrer Tarifgebundenheit.

Nach § 37 Abs. 4 Satz 1 der Satzung der Handwerksinnung wird der unter anderem mit der Führung von Tarifverhandlungen betraute sozialpolitische Ausschuss von der Innungsversammlung errichtet. Damit sind auch die tarifungebundenen Innungsmitglieder in der Innungsversammlung an der Auswahl der drei Mitglieder beteiligt, aus denen der sozialpolitische Ausschuss nach Satz 2 dieser Regelung besteht. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie müssen jedoch die Befugnisse von Mitgliedern mit und solchen ohne Tarifgebundenheit klar und eindeutig voneinander getrennt werden. Jegliche nach der Satzung auch nur möglichen unmittelbaren Einflussnahmen von OT-Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen des Verbandes müssen ausgeschlossen werden, um einen Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Betroffenheit hinsichtlich tarifpolitischer Entscheidungen zu gewährleisten[5]. Das Bundesarbeitsgericht hat für Arbeitgeberverbände entschieden, dass die nicht tarifgebundenen Mitglieder deshalb auf die Auswahlentscheidung für die konkrete Besetzung eines tarifpolitischen Gremiums durch ein anderes Organ des jeweiligen Verbandes keinen Einfluss haben dürfen und nicht nur das passive, sondern auch das aktive Wahlrecht insoweit den tarifgebundenen Mitgliedern vorzubehalten ist, weil nur sie von den Tarifverträgen ihres Verbandes betroffen sind[6].

Dieser Anforderung wird die von der Handwerksinnung beschlossene Satzungsänderung nicht gerecht. Eine Beschränkung des aktiven Wahlrechts tarifungebundener Mitglieder bei der Konstituierung des Ausschusses lässt sich namentlich nicht aus § 6a Abs. 3 der Satzung ableiten. Hiernach ist lediglich die Teilnahme von OT-Mitgliedern an Willens- und Entscheidungsbildungen der Innung über Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich des sozialpolitischen Ausschusses ausgeschlossen, nicht aber ihre Mitwirkung an der Errichtung des Ausschusses. Im Übrigen ließe es die in § 63 Satz 1 HwO niedergelegte gleiche Stimmberechtigung aller Innungsmitglieder in der Innungsversammlung auch nicht zu, nur tarifgebundene Mitglieder an der Auswahl der Ausschussmitglieder zu beteiligen. Dafür ist unerheblich, ob die Innungsversammlung selbst eine Auswahl der Mitglieder des tarifpolitischen Gremiums träfe oder ob zunächst sämtliche tarifgebundenen Mitglieder der Innung zu Mitgliedern eines solchen Gremiums bestimmt würden und diesen in einem zweiten Schritt die Auswahl eines kleineren, verhandlungsführenden Gremiums obläge. Denn in einer solchen Ausgestaltung läge eine unzulässige Umgehung der Befugnisse der Innungsversammlung und der für die Innung wesentlichen Gleichheit der Mitwirkungsbefugnis aller Mitglieder.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. März 2016 – 10 C 23.15

  1. vgl. Fröhler, Das Recht der Handwerksinnung, 1959, S.19[]
  2. BVerfG, Beschluss vom 19.10.1966 – 1 BvL 24/65, BVerfGE 20, 312, 318 f.[]
  3. vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 09.12 2015 – 10 C 6.15 16 zur Haushaltsführung von Industrie- und Handelskammern[]
  4. vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.09.2009 – 8 C 5.09, BVerwGE 135, 100 Rn. 16[]
  5. vgl. BAG, Urteile vom 04.06.2008 – 4 AZR 419/07 – BAGE 127, 27 Rn. 37 ff.; vom 22.04.2009 – 4 AZR 111/08 – BAGE 130, 264 Rn. 28 f.; vom 21.11.2012 – 4 AZR 27/11 – NZA-RR 2014, 545 Rn. 14; und vom 21.01.2015 – 4 AZR 797/13 – BAGE 150, 304 Rn. 18 ff.[]
  6. vgl. BAG, Urteil vom 21.01.2015 – 4 AZR 797/13 – BAGE 150, 304 Rn.20[]