Meinungsäußerungen einer Handwerksinnung

Eine Handwerksinnung kann sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG berufen, soweit sie nicht in ihrer Funktion als Teil der öffentlichen Verwaltung, sondern als Vertreterin der berufsständischen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder betroffen ist.

Meinungsäußerungen einer Handwerksinnung

Als Körperschaft des öffentlichen Rechts muss eine Handwerksinnung bei kritischen Äußerungen das Gebot der Sachlichkeit und Neutralität sowohl in inhaltlicher Hinsicht als auch bei den gewählten Formulierungen wahren. Nimmt sie allerdings berufsständische und wirtschaftliche Interessen ihrer Mitglieder wahr, geht damit eine Lockerung des Sachlichkeitsgebots einher.

In einem solchen Fall stellt die Äußerung der Handwerksinnung keine hoheitliche Handlung zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, sondern eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG darstellen[1]. Die Innung und ein Handwerksbetrieb des gleichen Gewerbes sind daher Mitbewerber im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG.

Nach § 4 Nr. 7 UWG aF handelt unlauter, wer die Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft.

„Herabsetzung“ im Sinne des § 4 Nr. 7 UWG aF ist die sachlich nicht gerechtfertigte Verringerung der Wertschätzung des Mitbewerbers durch ein abträgliches Werturteil oder eine abträgliche wahre oder unwahre Tatsachenbehauptung; „Verunglimpfung“ ist eine gesteigerte Form der Herabsetzung, die darin besteht, den Mitbewerber ohne sachliche Grundlage verächtlich zu machen[2]. Die Beurteilung der Frage, ob die Werbeaussage eines Wettbewerbers einen Mitbewerber oder eine Mitbewerberin herabsetzt, erfordert eine Gesamtwürdigung, die die Umstände des Einzelfalls wie insbesondere den Inhalt und die Form der Äußerung, ihren Anlass, den Zusammenhang, in dem sie erfolgt ist, sowie die Verständnismöglichkeit des angesprochenen Verkehrs berücksichtigt. Dabei kommt es maßgeblich auf die Sicht des durchschnittlich informierten und verständigen Adressaten der Werbung an. Für die Bewertung maßgeblich ist daher der Sinngehalt der Äußerung, wie sie vom angesprochenen Verkehr verstanden wird. In die Gesamtwürdigung sind betroffene Grundrechtspositionen einzubeziehen[2].

Im vorliegenden Fall hatte das Oberlandesgericht Hamm in der Vorinstanz angenommen, die Vertreter der Handwerksinnung hätten die beanstandeten Äußerungen in dem Pressegespräch nicht tätigen dürfen, weil sie dem Sachlichkeitsgebot nicht genügten und unlautere Herabsetzungen darstellten[3]. Das ergebe sich allein schon aus den gewählten und einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht erlaubten überspitzten Formulierungen. Die Handwerksinnung könne sich bei den Äußerungen nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die angegriffenen Äußerungen enthalten keine gegen § 4 Nr. 7 UWG aF verstoßende Herabsetzung der Handwerkerin. Das ergibt die erforderliche umfassende Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit, auf die sich die Handerwerkerinnung hier berufen kann.

Das OLG Hamm ist dabei allerdings zutreffend von einem besonderen Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot ausgegangen, dem die Handwerksinnung bei ihrer Tätigkeit grundsätzlich unterliegt. Mit Blick auf die Doppelstellung der Handwerksinnung als mittelbare Staatsverwaltung und Interessenvertretung kann für sie ein strengerer Maßstab im Rahmen von § 4 Nr. 7 UWG aF gelten. Körperschaften des öffentlichen Rechts nehmen besonderes Vertrauen für sich in Anspruch[4]. Der Begriff der „Innung“ hat aufgrund der Aufgaben, die Handwerksinnungen bei der Ausbildung und Förderung des handwerklichen Nachwuchses (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 bis 6 HwO) zukommen, eine positive Bedeutung; in die Fachkompetenz der Innungsverantwortlichen besteht ein hohes Vertrauen. Die Handwerksinnung ist wegen des ihr in ihrer amtlichen Funktion entgegengebrachten Vertrauens deshalb gehalten, Informationen objektiv und sachgerecht zu verbreiten[5]. Dabei ist allerdings danach zu differenzieren, ob eine Körperschaft des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihr vom Staat übertragenen amtlichen Aufgaben tätig wird oder – was gerade bei Innungen möglich ist – gemeinsame berufsständische und wirtschaftliche Interessen der in ihr zusammengeschlossenen Berufsträgerinnen und Berufsträger wahrnimmt. Ein besonderes Vertrauen ist umso weniger gerechtfertigt, je mehr die Interessenvertretung im Vordergrund steht.

Die Handwerksinnung konnte sich im Streitfall für die beanstandeten Äußerungen nicht auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG berufen.

Der Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG steht im Streitfall nicht entgegen, dass bei der Auslegung des der Umsetzung von Richtlinien des Unionsrechts dienenden nationalen Rechts nach Art. 51 Abs. 1 Satz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta) die dort niedergelegten Grundrechte zu beachten sind und daher, soweit die Freiheit der Meinungsäußerung in Rede steht, vorrangig die insoweit einschlägige Regelung in Art. 11 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta anzuwenden ist[6]. Die Bestimmung des § 4 Nr. 7 UWG aF bezweckt nicht den Schutz der Verbraucher, sondern dient in erster Linie dem Schutz des betroffenen Mitbewerbers. Sie setzt daher weder die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken noch eine andere Richtlinie des Unionsrechts in das deutsche Recht um[7].

Die Annahme des OLG Hamm, der persönliche Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sei nicht eröffnet, die Handwerksinnung könne sich nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Auf die Innung ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit in dem hier maßgeblichen Zusammenhang seinem „Wesen nach“ im Sinne von Art.19 Abs. 3 GG anwendbar.

Die Grundrechte sollen in erster Linie die Freiheitssphäre der Einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen und ihnen insoweit zugleich die Voraussetzungen für eine freie aktive Mitwirkung und Mitgestaltung im Gemeinwesen sichern. Von diesem Ausgangspunkt her ist auch Art.19 Abs. 3 GG auszulegen und anzuwenden.

Danach rechtfertigt sich eine Einbeziehung von juristischen Personen in den persönlichen Schutzbereich der Grundrechte nur, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen sind, und insbesondere wenn der „Durchgriff“ auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen dies als sinnvoll oder erforderlich erscheinen lässt[8].

Juristische Personen des öffentlichen Rechts, die üblicherweise öffentliche Aufgaben wahrnehmen, können danach zumeist keinen Grundrechtsschutz gegen staatliches Handeln beanspruchen[9]. Ausschlaggebend dafür ist aber nicht die Rechtsform als solche. Maßgebend ist vielmehr, ob und inwieweit in der Rechtsstellung als juristische Person des öffentlichen Rechts eine Sach- und Rechtslage Ausdruck findet, welche nach dem „Wesen“ der Grundrechte deren Anwendung auf juristische Personen entgegensteht. Dabei kommt es namentlich auf die Funktion an, in der eine juristische Person des öffentlichen Rechts von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird. Besteht diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben, so ist die juristische Person zumindest insoweit nicht grundrechtsfähig[10].

Innungen sind Organisationen, die aus den Zünften entstanden und maßgeblich vom Grundsatz der Freiwilligkeit sowohl ihrer Gründung als auch des Beitritts zu ihnen bestimmt sind[11]. Die Innungen beruhen im Gegensatz zu den Kammern (vgl. § 90 HwO; § 2 IHKG) nicht auf einer Zwangsmitgliedschaft (vgl. § 52 Abs. 1 Satz 1 HwO). Ihre Form ist ihr allerdings vom Staat vorgegeben (§ 53 Satz 1 HwO; vgl. BVerfG, NVwZ 1994, 262, 262 f.; Remmert in Maunz/Dürig, GG, Stand: Mai 2009, Art.19 Abs. 3 Rn. 55 mwN). Innerhalb des vom Staat vorgegebenen Rahmens kann die Innung aber grundsätzlich auch grundrechtlich geschützte Aktivitäten entwickeln[12]. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Grundrechtsfähigkeit von der Funktion abhängt, für die die Innung Grundrechtsschutz beansprucht[13]. Die „Doppelnatur“ von Berufsverbänden in der – atypischen[14] – Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts führt dazu, dass Grundrechtsfähigkeit in Betracht kommt, soweit nicht die Funktion als Teil der öffentlichen Verwaltung, sondern die Wahrnehmung der gemeinsamen berufsständischen und wirtschaftlichen Interessen der in den Verbänden zusammengeschlossenen Berufsträger betroffen ist[15]. Diese „Doppelnatur“ spiegelt sich im gesetzlichen Rahmen für die Handwerksinnungen wider (§ 52 Abs. 1 Satz 1, § 54 HwO), der nach Interessenvertretung, Mitgliederförderung und Aufgaben der Wirtschaftsverwaltung unterscheidet, wobei der Schwerpunkt auf den ersten beiden Aufgaben liegt und die übertragenen staatlichen Aufgaben weniger ins Gewicht fallen[16].

Nach diesen Maßstäben kann sich die Handwerksinnung bei den streitigen Äußerungen auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG berufen.

Die streitgegenständlichen Äußerungen betreffen die Handwerksinnung nicht in ihrer Funktion als Teil der öffentlichen Verwaltung, sondern als Vertreterin der berufsständischen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder im Sinne von § 52 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 HwO. Das Bundesverfassungsgericht zählt nur die Pflichtaufgaben nach § 54 Abs. 1 Satz 2 HwO und die weiteren gesetzlich zugewiesenen Pflichtaufgaben zu den staatlichen Aufgaben, während es die „sonstigen, freiwilligen Aufgaben im Sinne des § 54 Abs. 2 und 3 HwO“ der nichtstaatlichen Interessenvertretung zuordnet[17]. Die streitgegenständlichen Äußerungen hat der Hauptgeschäftsführer der in Ausübung seiner Tätigkeit für die Handwerksinnung offensichtlich zur Förderung der gewerblichen Interessen der überwiegenden Mitglieder der Innung gemacht. Insofern unterscheidet sich seine Tätigkeit nicht von der eines Geschäftsführers eines privatrechtlich organisierten Berufs- oder Wirtschaftsverbands. Soweit der Hauptgeschäftsführer sich kritisch über den „verkürzten Versorgungsweg“ geäußert hat, hat er zugleich die Interessen der überwiegend in der Handwerksinnung zusammengeschlossenen niedergelassenen Hörgeräteakustiker wahrgenommen, die vornehmlich eine Hörgeräteversorgung im „klassischen Versorgungsweg“ anbieten. Diese Interessenvertretung gehört nicht zu den gesetzlichen Pflichtaufgaben der Handwerksinnung, sondern ist die „Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen der Innungsmitglieder“ im Sinne der sonstigen, freiwilligen Aufgaben gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 HwO und (hier:) § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 der Satzung der Handwerksinnung. Werden ihr diese Äußerungen untersagt, ist die Innung dadurch wie jeder andere Berufs- oder Wirtschaftsverband in ihrem grundrechtlich geschützten Bereich der Interessenvertretung betroffen. Ob dabei aus Verbrauchersicht erkennbar ist, dass die Interessenvertretung im Vordergrund steht, ist nicht ausschlaggebend; grundrechtlicher Schutz hängt nicht vom Verbraucherverständnis ab.

Bei den beanstandeten Aussagen handelt es sich um Äußerungen, die in den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fallen.

Die Bestimmung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit erfasst kommerzielle Meinungsäußerungen ebenso wie reine Wirtschaftswerbung mit wertendem, meinungsbildendem Inhalt[18]. Die Behauptung wahrer Tatsachen fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, weil und soweit sie Voraussetzung für die Meinungsbildung ist[19].

Tatsachen sind Vorgänge oder Zustände, deren Vorliegen dem Wahrheitsbeweis zugänglich ist. Werturteile sind hingegen durch das Element des Wertens, Meinens und Dafürhaltens gekennzeichnet[20]. Die Einstufung einer Äußerung bestimmt sich danach, wie der angesprochene Verkehr sie nach Form und Inhalt in ihrem Gesamtzusammenhang versteht[21]. Vermengt eine Äußerung Tatsachen und Meinungen, so kommt es für die Anwendung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG darauf an, ob sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird. Im Falle einer solchermaßen engen Verknüpfung von Tatsachenbehauptung und Bewertung darf der Grundrechtsschutz nicht dadurch verkürzt werden, dass ein tatsächliches Element aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet wird oder durch die Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ihr Sinn verfälscht wird[22].

Die angegriffenen Äußerungen sind danach vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst. Es handelt sich um wertende Argumente, die im Rahmen der Debatte des Für und Wider des „verkürzten Versorgungswegs“ in dem Presseartikel ausgetauscht werden. Die Aussagen enthalten zwar einen Tatsachenkern, sind aber ganz überwiegend von wertenden Begriffen wie „gut“, „schlecht“, „kaum möglich“, „zu lange“, „zu wenig Raum“ und mithin auslegungsbedürftigen Formulierungen geprägt. Die von der Handwerkerin angestrebte Verurteilung zur Unterlassung dieser Äußerungen griffe in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ein.

Das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranke in den allgemeinen Gesetzen. Zu ihnen gehört auch die lauterkeitsrechtliche Bestimmung des § 4 Nr. 7 UWG aF, die ihrerseits allerdings im Licht der Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 GG auszulegen und daher in ihrer dieses Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst einzuschränken ist[23]. Eine Einschränkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit durch lauterkeitsrechtliche Bestimmungen setzt deshalb die Feststellung einer Gefährdung des an der Leistung orientierten Wettbewerbs voraus[24]. Bei werblichen Äußerungen über Themen von erhöhter gesellschaftlicher, politischer oder sozialer Bedeutung, die zum geistigen Meinungskampf in der Öffentlichkeit anregen sollen, unterliegt der Nachweis einer solchen Gefährdung besonderen Anforderungen[25]. Wegen des nach Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Schutzes des Geschäftsrufs der Betroffenen bedarf es regelmäßig einer Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls[26]. Eine solche Abwägung kann nur entfallen, wenn sich die herabsetzenden Äußerungen als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen; dann tritt die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück[27]. Das ist hier jedoch nicht der Fall.

Der Begriff der Schmähkritik ist wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng auszulegen. Selbst eine überzogene oder gar ausfällige Kritik ist erst dann eine Schmähung, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die persönliche Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Bezieht sich die Äußerung auf eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, so liegt eine Schmähkritik nur ausnahmsweise vor[28].

Danach stellen die angegriffenen Äußerungen keine Schmähkritik dar. Die beanstandeten Äußerungen des Hauptgeschäftsführers der Handwerksinnung sind zwar überspitzt. Die Auseinandersetzung in der Sache steht bei beiden Äußerungen aber ganz offensichtlich im Vordergrund. Das wird insbesondere darin deutlich, dass die Aussagen sachlich begründet werden.

Die somit im Rahmen von § 4 Nr. 7 UWG aF unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vorzunehmende Abwägung der betroffenen – auch grundrechtlich geschützten – Rechtspositionen führt dazu, dass die Handwerkerin die von ihr beanstandeten Äußerungen hinnehmen muss.

Bei der gebotenen Gesamtabwägung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und die Interessen der Parteien und der Allgemeinheit im Licht der Bedeutung des Grundrechts unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abzuwägen[29]. Insbesondere der Inhalt und die Form der Äußerung, ihr Anlass, der Zusammenhang, in dem sie erfolgt ist, sowie die Verständnismöglichkeit des angesprochenen Verkehrs sind zu berücksichtigen. Dabei kommt es maßgeblich auf die Sicht des durchschnittlich informierten und verständigen Adressaten der Äußerung an[30]. Ein beeinträchtigendes Werturteil kann danach umso eher zulässig sein, je nützlicher die Information für den Adressatenkreis ist oder je mehr aus anderen Gründen ein berechtigtes Informationsinteresse oder hinreichender Anlass für die Kritik besteht und je sachlicher die Kritik präsentiert wird[31]. Von Bedeutung ist weiter das Maß an Herabsetzung, das mit der Äußerung einhergeht[32]. Bei der Gewichtung der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber anderen Grundrechtspositionen ist zudem zu berücksichtigen, ob von diesem Grundrecht im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird. Je mehr das Interesse der sich Äußernden auf politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit gerichtet ist, desto eher ist ihre Äußerung in Abwägung mit anderen Belangen gerechtfertigt[33]. Meinungsäußerungen, die zugleich wettbewerblichen Zwecken dienen, sind dabei strenger zu bewerten als Äußerungen, die nicht den lauterkeitsrechtlichen Verhaltensanforderungen, sondern lediglich dem allgemeinen Deliktsrecht unterliegen[34].

Diese Güter- und Interessenabwägung führt im hier entschiedenen Fall dazu, dass die beanstandeten Äußerungen nicht als unlauter untersagt werden können.

Um dem situativen Kontext hinreichend Rechnung zu tragen, sind bei der Abwägung die Umstände zu berücksichtigen, die zu den Äußerungen geführt haben. Die beanstandeten Äußerungen sind Teil eines Presseartikels, der über die Hörgeräteversorgung und in diesem Zusammenhang insbesondere über den „verkürzten Versorgungsweg“ berichtet. Der Anstoß für den Hauptgeschäftsführer der Handwerksinnung, sich in einem Interview zum verkürzten Versorgungsweg zu äußern, kam von außen durch die Presse. Die angegriffenen Äußerungen sind in dem Artikel eingebettet in eine umfangreichere Erörterung gesundheitspolitischer Fragen. Der Artikel dient dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit, indem er die Vor- und Nachteile des „verkürzten Versorgungswegs“ darstellt und Kritiker sowie Befürworter der Versorgungsalternativen zu Wort kommen lässt.

Soweit der Handwerker die beanstandeten Äußerungen losgelöst von diesem Kontext lauterkeitsrechtlich beurteilt wissen will, verkennt er, dass die Äußerungen insbesondere mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht isoliert betrachtet werden dürfen; Anlass und Zusammenhang, in dem sie erfolgt sind, müssen berücksichtigt werden[30]. Das entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung des § 4 Nr. 7 UWG aF, der in erster Linie dem Schutz des betroffenen Mitbewerbers und daneben dem Schutz des Interesses der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb dient. Ein Verstoß gegen § 4 Nr. 7 UWG aF setzt – anders als eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts – voraus, dass die Handlung geeignet ist, die wettbewerblichen Interessen des Mitbewerbers oder der Mitbewerberin auf dem fraglichen Markt zu beeinträchtigen[35]. Wettbewerbliche Interessen der Handwerkerin als Mitbewerberin können aber nur beeinträchtigt sein, wenn und soweit sie durch die angegriffenen Äußerungen in ihrem Gesamtkontext, also unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts des Artikels, herabgesetzt wird. Alles andere liefe auf eine künstliche Betrachtungsweise hinaus. Der angesprochene Verkehr nimmt die beanstandeten Äußerungen nicht isoliert, sondern als Teil des Artikels wahr, zumal sie weder im Text noch durch Zwischenüberschriften hervorgehoben sind. Im Übrigen hat die Handwerkerin selbst nicht die Äußerungen des Hauptgeschäftsführers der Innung gegenüber der Presse, sondern die durch die Presse wiedergegebenen Äußerungen im Artikel als Ganzes zum Gegenstand der Klage gemacht.

Bei der Abwägung ist freilich auch von Gewicht, dass die Handwerkerin durch die kritischen Äußerungen des Hauptgeschäftsführers der Innung in ihrem Recht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG betroffen ist. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Handwerksinnung als Körperschaft des öffentlichen Rechts und der Hauptgeschäftsführer der Handwerksinnung als deren Organ bei kritischen Äußerungen das Gebot der Sachlichkeit und Neutralität sowohl in inhaltlicher Hinsicht als auch bei den gewählten Formulierungen zu wahren haben[36]. Das OLG Hamm hat die Anforderungen insofern allerdings überspannt, als es die beiden Äußerungen ausschließlich aufgrund ihrer Formulierung für herabsetzend erachtet und sie damit vollständig von ihrem Sinngehalt entkoppelt hat. Das wird der im Rahmen von § 4 Nr. 7 UWG aF gebotenen Gesamtabwägung nicht gerecht; erst recht gilt das für eine Abwägung unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

Auch führt der Umstand, dass das Berufungsgericht im Tatbestand den gesamten Presseartikel wiedergegeben hat und bei der Erörterung der Frage, ob eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG vorliegt, auf weitere Äußerungen im Presseartikel eingegangen ist, zu keinem anderen Ergebnis. Das OLG Hamm hat die Unzulässigkeit der beanstandeten Äußerungen ausdrücklich allein aus den gewählten Formulierungen gefolgert, ohne den Gesamtzusammenhang in den Blick zu nehmen oder eine Gesamtabwägung vorzunehmen. Außerdem hat das Berufungsgericht unbeachtet gelassen, dass der Handwerksinnung bei ihrer Tätigkeit als Interessenvertreterin von der Öffentlichkeit weniger Vertrauen entgegengebracht wird, als wenn sie hoheitlich tätig wird; damit einher geht eine Lockerung des Sachlichkeitsgebots.

Einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot stellen die angegriffenen Äußerungen danach nicht dar. Sie sind zwar plakativ und haben schlagwortartigen Charakter. Allerdings ist im Gesamtkontext insbesondere zu berücksichtigen, dass der Hauptgeschäftsfüher der Handwerksinnung beide Äußerungen nachvollziehbar und sachlich begründet hat. Das gilt unabhängig von der objektiven Richtigkeit der Begründungen, zumal eine Interessenvertretung durch die Handwerksinnung erkennbar im Vordergrund stand. Soweit der Hauptgeschäftsführer angegeben hat, es werde für schlechte Qualität gutes Geld ausgegeben, hat er dies damit begründet, dass der Arzt nie gelernt habe, ein Hörgerät einzustellen. Die zweite als unlauter beanstandete Äußerung ist im Zusammenhang mit der vom Hauptgeschäftsführer der Innung als wichtig und teilweise längerfristig geboten bezeichneten Nachsorge gefallen. Eine solche Nachsorge ist nach dessen Auffassung durch den Arzt wegen langer Wartezeiten, eines falschen Umgangs mit Reklamationen und zu wenig Raum, um auf den Kunden eingehen zu können, kaum möglich. Auch diese Begründung ist zumindest sachlich nachvollziehbar, unabhängig davon, ob sie in jeder Hinsicht zutrifft.

Die mithin plakative, aber sachlich begründete Kritik stellte unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit der Handwerksinnung einerseits und der Berufsfreiheit der Handwerkerin sowie dem Schutz des Wettbewerbs im Sinne von § 1 UWG andererseits keine unlautere Herabsetzung der Handwerkerin dar. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es nicht in erster Linie um eine private Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen geht. Die Handwerksinnung hat vom Grundrecht der Meinungsfreiheit vielmehr im Zusammenhang mit einer auch die Öffentlichkeit berührenden Frage Gebrauch gemacht. Je mehr aber das Interesse der sich Äußernden auf politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit gerichtet ist, desto eher ist eine Äußerung in Abwägung mit anderen Belangen gerechtfertigt[33]. So liegt es hier. Die, wenn auch überspitzt formulierte, Kritik am „verkürzten Versorgungsweg“ ist vom Hauptgeschäftsführer der Handwerksinnung sachlich begründet worden und eingebettet in einen Artikel, der sowohl Befürworter als auch Gegner dieses Versorgungswegs zu Wort kommen lässt. Darin liegt schon keine Herabsetzung im Sinne von § 4 Nr. 7 UWG aF. Darüber hinaus muss die Handwerksinnung als Interessenvertreterin der (hier:) Hörgeräteakustiker die Möglichkeit haben, sich zu gesundheitspolitischen Fragen zu äußern, die ihre Mitglieder direkt betreffen. Ihre Teilhabe an solchen Auseinandersetzungen darf ihr nicht deswegen erschwert werden, weil ihre Mitglieder sich in dem betreffenden Bereich beruflich und wettbewerblich betätigen[37]. Die durch die Äußerungen betroffene Berufsfreiheit der Handwerkerin führt nicht zu einem anderen Abwägungsergebnis. Ihre Grundrechtsbetroffenheit geht nicht über im Wettbewerb zulässige Kritik hinaus und muss deswegen bei einer Abwägung gegenüber dem Grundrecht der Handwerksinnung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zurückstehen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. März 2018 – I ZR 264/16

  1. zur Abgrenzung vgl. BGH, Urteil vom 27.07.2017 – I ZR 162/15, GRUR 2018, 196 Rn. 23 ff. = WRP 2018, 186 – Eigenbetrieb Friedhöfe[]
  2. vgl. BGH, GRUR 2016, 710 Rn. 38 – Im Immobiliensumpf, mwN[][]
  3. OLG Hamm, Urteil vom 27.10.2016 – I4 U 22/16[]
  4. vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl., § 3a Rn.02.49; Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., Einf. D Rn. 34 und 36[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 24.02.1994 – I ZR 59/92, GRUR 1994, 516, 517 = WRP 1994, 506 Auskunft über Notdienste; Urteil vom 22.04.2009 – I ZR 176/06, GRUR 2009, 1080 Rn. 18 – Auskunft der IHK, mwN[]
  6. vgl. EuGH, Urteil vom 20.05.2003 – C465/00 u.a., Slg. 2003, I4989 = AfP 2004, 243 Rn. 68 – Rechnungshof/Österreichischer Rundfunk u.a.; BGH, GRUR 2016, 710 Rn. 45 – Im Immobiliensumpf, mwN[]
  7. vgl. BGH, GRUR 2016, 710 Rn. 45 – Im Immobiliensumpf, mwN[]
  8. vgl. BVerfGE 21, 362, 369; 68, 193, 206; BVerfG, NVwZ 1994, 262[]
  9. vgl. BVerfG, NVwZ 1994, 262[]
  10. vgl. BVerfGE 68, 193, 207 f.; 70, 1, 15; 75, 192, 197; Burghart in Leibholz/Rinck Art.19 Rn. 117[]
  11. vgl. Badura/Kormann, GewArch 2005, 99, 103 f.[]
  12. vgl. BVerfG, NVwZ 1994, 262, 263[]
  13. vgl. BVerfGE 68, 193, 209; BVerfG, NVwZ 1994, 262[]
  14. vgl. Remmert in Maunz/Dürig aaO Art.19 Abs. 3 Rn. 55 mwN[]
  15. Remmert in Maunz/Dürig aaO; Gaier in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., Art. 12 GG Rn. 15; Baier-Treu in Leisner, BeckOK, HwO, Stand: 1.11.2017, § 53 Rn. 12; Günther in Honig/Knörr/Thiel, HwO, 5. Aufl., § 53 Rn. 12[]
  16. vgl. Badura/Kormann, GewArch 2005, 99, 104[]
  17. vgl. BVerfGE 68, 193, 210; 70, 1, 20[]
  18. vgl. BVerfGE 102, 347, 359; BGH, Urteil vom 19.05.2011 – I ZR 147/09, GRUR 2012, 74 Rn. 27 = WRP 2012, 77 Coaching Newsletter[]
  19. vgl. BVerfGE 85, 1, 15; BGH, GRUR 2012, 74 Rn. 27 Coaching Newsletter[]
  20. vgl. BVerfGE 61, 1, 8; 90, 241, 247[]
  21. vgl. BGH, GRUR 2016, 710 Rn. 23 – Im Immobiliensumpf, mwN[]
  22. vgl. BVerfG, ZUM 2013, 793 Rn. 18; BGH, GRUR 2016, 710 Rn. 23 – Im Immobiliensumpf, mwN[]
  23. vgl. BVerfG, GRUR 2008, 81, 82 zu §§ 1, 2 Abs. 2 Nr. 5 UWG aF; BGH, Urteil vom 19.06.1997 – I ZR 16/95, BGHZ 136, 111, 122 – Kaffeebohne; BGH, GRUR 2012, 74 Rn. 31 – Coaching-Newsletter; GRUR 2016, 710 Rn. 46 – Im Immobiliensumpf[]
  24. vgl. BVerfG, GRUR 2002, 455, 456[]
  25. vgl. BVerfGE 107, 275, 281[]
  26. vgl. BGH, GRUR 2012, 74 Rn. 31 – Coaching-Newsletter[]
  27. vgl. BVerfGE 93, 266, 294[]
  28. vgl. BVerfGE 93, 266, 294; BGH, GRUR 2016, 710 Rn. 48 – Im Immobiliensumpf[]
  29. vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen aaO § 4 Rn.01.21; Dittmer in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., § 4 Nr. 7 UWG Rn.19[]
  30. vgl. BGH, GRUR 2016, 710 Rn. 38 – Im Immobiliensumpf[][]
  31. Dittmer in Büscher/Dittmer/Schiwy aaO § 4 Nr. 7 UWG Rn.19[]
  32. vgl. Ohly in Ohly/Sosnitza aaO § 4 Rn. 1/18[]
  33. vgl. BVerfG, GRUR 2008, 81, 83[][]
  34. vgl. BGH, GRUR 2012, 74 Rn. 33 – Coaching-Newsletter; Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen aaO § 4 Rn.01.21[]
  35. vgl. BGH, Urteil vom 12.12 2013 – I ZR 131/12, GRUR 2014, 601 Rn. 24 = WRP 2014, 548 englischsprachige Pressemitteilung, mwN[]
  36. vgl. BGH, Urteil vom 23.05.1985 – I ZR 18/83, GRUR 1985, 1063, 1064 = WRP 1985, 694 – Landesinnungsmeister[]
  37. vgl. BVerfG, GRUR 2008, 81, 82[]