Rückzahlung von Sozialkassenbeiträgen – und das SokaSiG

Nicht verbandsgebundene Arbeitgeber haben keinen bereicherungsrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft, die sie aufgrund unwirksamer Allgemeinverbindlicherklärungen der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe geleistet haben. Der rechtliche Grund für die Beitragszahlungen iSv. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB ergibt sich aus dem rückwirkend in Kraft getretenen SokaSiG.

Rückzahlung von Sozialkassenbeiträgen – und das SokaSiG

Die nicht originär tarifgebundene Arbeitgeberin ist (hier: für den streitgegenständlichen Zeitraum von Januar 2010 bis Dezember 2014) ursprünglich aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV in seiner jeweiligen Fassung vom 25.06.2010[1], 3.05.2012[2], 29.05.2013[3], 25.10.2013[4] und 17.03.2014[5] in Anspruch genommen worden. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Wirkung für und gegen jedermann festgestellt, dass diese Allgemeinverbindlicherklärungen unwirksam sind[6]. Diese Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts sind rückwirkend („ex tunc“) getroffen worden[7]. Die Rückabwicklungsproblematik hat das Bundesarbeitsgericht bereits in den Entscheidungen über die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen thematisiert[8]. Angesichts dieses Risikos wollte der Gesetzgeber mit dem SokaSiG insbesondere eine eigenständige, rückwirkende Rechtsgrundlage für das „Behaltendürfen“ der bereits eingezogenen Beiträge im Sozialkassenverfahren schaffen. Das SokaSiG sollte die Unsicherheit im Hinblick auf im Raum stehende Rückforderungsansprüche beenden[9].

Als Anspruchsgrundlage käme daher eine Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB in Betracht (sog. condictio indebiti). Dagegen scheidet eine Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB für den Fall, dass der rechtliche Grund später wegfällt, aus (sog. condictio ob causam finitam). Zwar hat das Bundesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen erst nach der Zahlung der Beiträge festgestellt. Eine rechtskräftige Entscheidung nach § 98 ArbGG gestaltet jedoch die Rechtslage nicht rückwirkend, sondern stellt nur bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverbindlicherklärung rückwirkend fest, dass sie unwirksam ist[10]. Objektiv bestanden daher von Anfang an keine Rechtsgrundlagen für die Leistung in Form von wirksamen Allgemeinverbindlicherklärungen.

Aus § 7 Abs. 3 bis Abs. 7 iVm. Anlagen 28 bis 32 SokaSiG ergibt sich jedoch ein rechtlicher Grund iSv. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB für die Beitragszahlungen, die die Arbeitgeberin für den Zeitraum von Januar 2010 bis Dezember 2014 geleistet hat. Gegen die Geltungserstreckung des VTV in seinen jeweiligen Fassungen auf die nicht originär tarifgebundene Arbeitgeberin durch das SokaSiG bestehen aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken[11].

§ 7 SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG[12]. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin verletzt das SokaSiG insbesondere nicht die negative Koalitionsfreiheit der nicht unmittelbar tarifgebundenen Arbeitgeber. Soweit die gesetzliche Geltungserstreckung des VTV einen mittelbaren Druck erzeugen sollte, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien zu werden, ist dieser Druck jedenfalls nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde[13].

Das SokaSiG greift nicht in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit der verpflichteten Arbeitgeber ein. Die durch die Beitragspflicht bezweckte Umlagefinanzierung des Urlaubskassenverfahrens, der Berufsbildung und der zusätzlichen Altersversorgung in der Bauwirtschaft betrifft lediglich den Interessenausgleich zwischen den branchenzugehörigen Arbeitgebern untereinander und zu den Arbeitnehmern auf übertariflicher Ebene[14].

§ 7 SokaSiG verletzt auch nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen der tariffreien Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden[15].

Die Gegenansicht stellt darauf ab, Vertrauen auf eine fehlende Bindung an den VTV in seiner jeweiligen Fassung habe bereits vor der Verkündung der ersten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts über die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen am 21.09.2016 entstehen können[16]. Dem vermag das Bundesarbeitsgericht nicht zuzustimmen.

Bis zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2016 entsprach es der weit überwiegenden Rechtsansicht, dass diese Fassungen des VTV wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden waren. Durch davon abweichende Rechtsauffassungen konnte kein schutzwürdiges Vertrauen in ein geändertes Verständnis der alten Rechtslage entstehen[17].

Soweit die Arbeitgeberin im hier entschiedenen Fall ausführt, sie sei bereits vor dem 21.09.2016 von unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärungen ausgegangen, kommt es auf diese subjektive Sicht nicht an. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen[18].

Die Arbeitgeberin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe nach den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2016 auf den Fortbestand des tariflosen Zustands vertraut. Sie übersieht, dass bereits die Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag ein entstandenes Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage zerstören kann[19]. Der Entwurf des SokaSiG wurde bereits am 13.12 2016 in den Bundestag eingebracht. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte sich noch kein schutzwürdiges Vertrauen der nicht originär tarifgebundenen Arbeitgeber bilden, von der Beitragspflicht zu den Sozialkassen frei zu bleiben[20].

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. September 2019 – 10 AZR 562/18

  1. AVE VTV 2010[]
  2. AVE VTV 2012[]
  3. AVE VTV 2013 I[]
  4. AVE VTV 2013 II[]
  5. AVE VTV 2014[]
  6. BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, BAGE 156, 213; 21.09.2016 – 10 ABR 48/15, BAGE 156, 289; 25.01.2017 – 10 ABR 34/15; 25.01.2017 – 10 ABR 43/15[]
  7. vgl. BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, Rn. 181, aaO[]
  8. vgl. BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15 – aaO[]
  9. BT-Drs. 18/10631 S. 648 f.; vgl. auch BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 29, BAGE 164, 201[]
  10. GK-ArbGG/Ahrendt Stand Dezember 2017 § 98 Rn. 48[]
  11. vgl. BAG 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 84 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 550/18, Rn. 23 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 39 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 81 ff.; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 29 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 512/17, Rn. 32 ff.; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 42 ff., BAGE 164, 201[]
  12. BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 45 ff., BAGE 164, 201[]
  13. BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 34 mwN[]
  14. BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 55 mwN, BAGE 164, 201[]
  15. BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 46 ff.; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 68 ff., BAGE 164, 201[]
  16. 10 ABR 33/15, BAGE 156, 213; – 10 ABR 48/15, BAGE 156, 289[]
  17. BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 77 ff., BAGE 164, 201[]
  18. BAG 28.08.2019 – 10 AZR 550/18, Rn. 30; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 63[]
  19. vgl. BVerfG 10.04.2018 – 1 BvR 1236/11, Rn. 151, BVerfGE 148, 217[]
  20. vgl. BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 88 ff., BAGE 164, 201[]