Ein Betrieb wird vom Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Verfahren für den Urlaub und die Zusatzversorgung im Maler- und Lackiererhandwerk vom 23.11.2005 (VTV Maler) erfasst, wenn arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten des Maler- und Lackiererhandwerks iSv. § 1 Nr. 2 Abs. 1 Betriebe, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk (RTV Maler) ausgeübt werden. Werden solche Tätigkeiten erbracht, sind ihnen diejenigen Nebentätigkeiten zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der Tätigkeiten notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen, auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- und gewerberechtliche Kriterien kommt es nicht an.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb überwiegend Tätigkeiten des betrieblichen Geltungsbereichs eines Sozialkassentarifvertrags verrichtet werden, obliegt der Sozialkasse.
Im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall verrichtet der Betrieb der Arbeitgeberin verrichtet nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts arbeitszeitlich überwiegend auf Großwerften Korrosionsschutzarbeiten an Schiffen, wie Entrostungs- und Oberflächenbeschichtungsarbeiten einschließlich der Zusammenhangstätigkeiten. Dies können “Entrostungs- und Eisenanstricharbeiten” sein, die vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV Maler und RTV Maler erfasst werden. Dass Korrosionsschutzarbeiten an Schiffen durchgeführt werden, ist dabei unerheblich; der betriebliche Geltungsbereich beider Tarifverträge ist unabhängig von der Art des zu bearbeitenden Objekts für alle Tätigkeiten des Maler- und Lackiererhandwerks eröffnet.
Der Betrieb wird aber deshalb nicht vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV Maler erfasst, weil er industriell und nicht handwerklich geprägt ist. Er ist kein Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks.
Tarifvertragspartei des VTV Maler und RTV Maler ist auf Arbeitgeberseite der Bundesinnungsverband des deutschen Maler- und Lackiererhandwerks. Der betriebliche Geltungsbereich des VTV Maler und des RTV Maler erfasst ausschließlich Betriebe des Maler- und Lackiererhandwerks; Betriebe, die ihre Leistungen industriell erbringen, fallen nicht unter den Geltungsbereich. Werden Eisenschutzarbeiten nicht in einer handwerklich, sondern industriell geprägten Arbeitsweise ausgeführt, ist der betriebliche Geltungsbereich des § 1 Abs. 2 Abschnitt IV Nr. 2 VTV Bau (Eisenschutzarbeiten) eröffnet.
Ob es sich im Einzelfall um einen Handwerks- oder Industriebetrieb handelt, ist im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände unter Berücksichtigung der jeweiligen tariflichen Regelungen zu ermitteln. Die Abgrenzung hat nicht nach gewerberechtlichen, handelsrechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Kriterien, sondern vorrangig danach zu erfolgen, ob die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer handwerklich oder nicht handwerklich geprägt ist. Eine etwaige Eintragung in die Handwerksrolle, insbesondere wenn sie mit Zustimmung der Industrie- und Handelskammer erfolgt ist, kann dabei ein wesentliches Kriterium für die Handwerkseigenschaft darstellen. Der Betrieb muss aber nicht nur formell, sondern auch materiell den Anforderungen eines Handwerksbetriebs entsprechen. Dafür ist entscheidend, dass die Handfertigkeit der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter prägend für die Produktherstellung ist, die eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel nur der Erleichterung und Unterstützung der Handfertigung dienen und durch ihren Einsatz nicht wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des Handwerks entbehrlich werden. Der Handwerksbetrieb zeichnet sich gegenüber dem Industriebetrieb dadurch aus, dass die Produktion von dem Können sowie den Fertigkeiten zumindest einer Vielzahl der beschäftigten Arbeitnehmer und nicht von dem Einsatz der solche Arbeitnehmer ersetzenden Maschinen abhängt und dass die Arbeitsteilung nicht so weit fortgeschritten ist, dass jede einzelne Arbeitskraft nur bestimmte – in der Regel immer wiederkehrende – und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen hat, wie dies in einem Industriebetrieb der Fall ist. Für eine handwerksmäßige Betriebsweise spricht es daher, wenn überwiegend fachlich qualifizierte, handwerklich ausgebildete Arbeitskräfte beschäftigt werden. Die technische Entwicklung hat zwar dazu geführt, dass auch Handwerksbetriebe in zunehmendem Maße auf die Verwendung von Maschinen und vorgefertigtem Material angewiesen sind; technische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen können sogar dazu führen, dass einzelne Zweige des Handwerks oder einzelne Betriebe zu anderen Betriebsformen überwechseln. Allein die Nutzung technischer Hilfsmittel spricht aber nicht für einen Industrie- und gegen einen Handwerksbetrieb. Werden dagegen als Folge der Technisierung wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des betreffenden Handwerks durch den Einsatz von Maschinen entbehrlich und bleibt kein Raum mehr für das handwerkliche Können, liegt eine handwerksmäßige Betriebsform fern.
Die Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb dem Handwerk zuzuordnen ist oder ob es sich um einen Industriebetrieb handelt, obliegt in erster Linie den Gerichten der Tatsacheninstanzen, sie haben insoweit einen Beurteilungsspielraum, der nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt.
Entrostungs- und Korrosionsschutzarbeiten können handwerklich ausgeführt werden. Dies zeigt die Verordnung über die Berufsausbildung im Maler- und Lackierergewerbe vom 03.07.2003, die in § 6 Nr. 3 als Gegenstand der Berufsausbildung die Fachrichtung Bauten- und Korrosionsschutz und die einzelnen Ausbildungsschritte benennt. Nach § 15 Abs. 3 Satz 2 MalerLackAusbV sind in der Gesellenprüfung auch im Prüfungsbereich Korrosionsschutz und Bautenschutz fachliche Probleme mit verknüpften informationstechnischen, technologischen und mathematischen Kenntnissen zu analysieren, zu bewerten und zu lösen. Im Prüfungsbereich Korrosionsschutz soll der Prüfling zeigen, dass er die Ausführung des Kundenauftrags planen, Korrosionsschutzsysteme entsprechend der Belastung von Objekten und Bauwerken sowie erforderliche Entrostungsverfahren, Maßnahmen zur Oberflächenvorbereitung, Beschichtungssysteme und metallische Überzüge auswählen und beschreiben, den Einsatz von Anlagen und Geräten, Gerüsten und Maßnahmen zum Schutz der Umwelt unter Beachtung von Normen, technischen Richtlinien und Merkblättern einbeziehen, sowie Flächen, Kosten und Mengen berechnen kann (vgl. § 15 Abs. 3 Nr. 1 MalerLackAusbV).
Handwerkliche Korrosionsschutzarbeiten im vorbeschriebenen Sinn werden im Betrieb der Arbeitgeberin nicht verrichtet. Die Tätigkeit ist zwar insoweit “händisch”, als das Sandstrahlen und das Aufbringen des Anstrichs mit den eingesetzten maschinellen Hilfsmitteln durch einen Arbeitnehmer von Hand gesteuert wird, eine “handwerkliche” Tätigkeit verrichten die Arbeitnehmer dabei jedoch nicht. Jede einzelne Arbeitskraft führt wiederkehrende eng begrenzte Teilarbeiten aus, wie dies typischerweise in einem Industriebetrieb der Fall ist. Großflächig an Schiffen vorgenommene Korrosionsschutzarbeiten werden nicht durch die Handfertigkeit der am Produktionsprozess beteiligten Mitarbeiter, sondern durch die eingesetzten Maschinen und technischen Hilfsmittel geprägt. Die Mitarbeiter müssen nicht Kundenaufträge planen und organisieren, geeignete Maßnahmen zur Oberflächenvorbereitung und Beschichtung auswählen und umsetzen; durch den großflächigen Einsatz technischer Hilfsmittel sind Kenntnisse und Fertigkeiten des Handwerks weitgehend entbehrlich. Dem entspricht, dass im Betrieb der Arbeitgeberin ausschließlich ungelernte Arbeitnehmer beschäftigt werden. Ein Betrieb, der sich mit einer Betriebsgröße von mehreren hundert Mitarbeitern deutlich von einem typischen Betrieb des Maler- und Lackiererhandwerks unterscheidet und vollständig auf den Einsatz von Fachkräften verzichten kann, ist kein Betrieb des Maler- und Lackierhandwerks, sondern industriell geprägt, sodass jedenfalls zu den Sozialkassen des Maler- und Lackiererhandwerks keine Beiträge entrichtet werden müssen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. April 2014 – 10 AZR 1085/12