Das Arbeitszeitkonto im Baugewerbe – und die Freistellungszeiten

Nach § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 Alt. 1 des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe vom 04.07.2002 idF vom 10.12.2014 (BRTV) darf auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebener Lohn zum Ausgleich für den Monatslohn ausgezahlt werden. Diese Möglichkeit der Auszahlung ist nicht nur bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall eröffnet.

Das Arbeitszeitkonto im Baugewerbe – und die Freistellungszeiten

Das ergibt für das Bundesarbeitsgericht die Auslegung der Tarifnorm[1].

Für ein solches Verständnis spricht nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts bereits der Wortlaut der Tarifnorm, die mit „Arbeitszeit- und Entgeltkonto (Ausgleichskonto)“ überschrieben ist, und nach deren Inhalt auf dem Ausgleichskonto nicht lediglich Arbeitszeitguthaben und -schuld in Form von Stunden festzuhalten sind. Vielmehr ist dort auch die Differenz zwischen dem Lohn für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und dem nach § 3 Nr. 1.42 BRTV errechneten – verstetigten – Monatslohn gutzuschreiben bzw. zu belasten. Dementsprechend müssen dem Arbeitnehmer nach § 5 Nr. 7.1 Abs. 2 BRTV in der Lohnabrechnung die im jeweiligen Monat auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebenen Arbeitsstunden sowie der dafür einbehaltene Lohn bzw. die auf dem Ausgleichskonto abgebuchten Arbeitsstunden und der dafür gezahlte Lohn mitgeteilt werden[2]. Dieses Normverständnis bestätigt der tarifliche Gesamtzusammenhang, wenn das Nebeneinander von Arbeitszeit- und Entgeltkonto ua. von § 3 Nr. 1.43 Abs. 2 und Abs. 4 BRTV mit den Formulierungen „das Arbeitszeitguthaben und der dafür einbehaltene Lohn“ bzw. „die dem Guthaben zugrunde liegenden Vorarbeitsstunden und das dafür gutgeschriebene Arbeitsentgelt“ aufgegriffen wird[3].

Nach § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV darf auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebener Lohn nur zum Ausgleich für den Monatslohn, bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall, am Ende eines Ausgleichszeitraumes nach Maßgabe des folgenden Absatzes, bei Ausscheiden des Arbeitnehmers oder im Todesfall ausgezahlt werden. Damit regelt diese Tarifvorschrift nicht lediglich die Auszahlung gutgeschriebenen Lohnes, sondern zugleich die Voraussetzungen für die Entnahme von Zeitguthaben aus dem Teil des Ausgleichskontos, das die Arbeitszeit betrifft. Unter Berücksichtigung dessen, dass es sich um ein kombiniertes Arbeitszeit- und Entgeltkonto handelt, hat die Gutschrift oder Belastung des Arbeitszeitteils zwingende Auswirkungen auf den Entgeltteil, auch wenn dies im Falle von Tariflohnerhöhungen oder Verzinsungen des Geldguthabens nach § 3 Nr. 1.43 Abs. 1 Satz 4 BRTV nicht immer deckungsgleich sein muss[4]. Nähme man an, eine Auszahlung aus dem Saldo würde nicht gleichzeitig zu einer Reduzierung des Stundensaldos führen, könnte der Arbeitnehmer von der gutgeschriebenen Arbeitszeit weiterhin finanziell profitieren ohne eine entsprechende Arbeitsleistung erbracht oder aufgrund anderer Tatbestände Anspruch auf Zeitgutschrift zu haben. Eine Auszahlung aus dem Entgeltteil des Ausgleichskontos hat daher stets eine Reduzierung des Arbeitszeitsaldos des Ausgleichskontos zur Folge, auch wenn der Abbau nicht zwingend linear erfolgen muss.

Auch bedarf es keiner gesonderten „Flexibilisierungsvereinbarung“ zwischen den Arbeitsvertragsparteien. Die Möglichkeit der Entnahme von Zeitgutschriften aus dem Ausgleichskonto unter gleichzeitiger Auszahlung entsprechender Vergütung beruht auf einem dem Arbeitgeber tarifvertraglich eingeräumten Bestimmungsrecht, das gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB keiner AGB-Kontrolle unterliegt. Der Tarifregelung ist dieses Recht immanent.

§ 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV unterscheidet zwischen mehreren Möglichkeiten zum Abbau des gutgeschriebenen Lohnes und damit zugleich der gutgeschriebenen Stunden. Die Regelung enthält eine Aufzählung von fünf verschiedenen Varianten, die unabhängig voneinander zu einer Auszahlung des auf dem Ausgleichskonto gutgeschriebenen Lohnes berechtigen. Das folgt aus der Trennung der einzelnen Tatbestände durch Kommata sowie aus der die Aufzählung abschließenden Konjunktion „oder“, durch die regelmäßig zwei oder mehrere Möglichkeiten, die zur Wahl stehen, verbunden werden[5]. Aus dem Wortlaut ergibt sich mithin mit hinreichender Deutlichkeit, dass eine Auszahlung des Lohnes bzw. der entsprechende Abbau des Stundenguthabens auch allein zum Ausgleich für den Monatslohn zulässig ist, ohne dass zugleich der Tatbestand der zweiten Alternative, der witterungsbedingte Arbeitsausfall eingetreten sein muss. Ein Fall des Ausgleichs für den Monatslohn iSv. § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 Alt. 1 BRTV liegt bei Beschäftigungsschwankungen vor, beispielsweise bei kurzfristigen Auftragsengpässen[6].

Eine schriftliche oder zumindest mündliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über eine Freistellung unter Anrechnung des Arbeitszeitguthabens ist nicht erforderlich.

Die Notwendigkeit einer solchen Vereinbarung lässt sich dem BRTV, insbesondere dem Wortlaut des § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV nicht entnehmen. Darin unterscheidet sich diese Tarifregelung von weiteren Regelungen, etwa in Bezug auf die Abgeltung des Guthabens am Ende des Ausgleichszeitraums, die nach § 3 Nr. 1.43 Abs. 4 Satz 3 BRTV eine freiwillige Betriebsvereinbarung oder einzelvertragliche Vereinbarung verlangt. Gleiches gilt für die Durchführung einer von der tariflichen Arbeitszeitverteilung abweichenden Verteilung der Arbeitszeit nach § 3 Nr. 1.41 Abs. 1 BRTV, für den Arbeitszeitausgleich innerhalb von zwei Wochen nach § 3 Nr. 1.3 BRTV, für das Nachholen von Ausfallstunden nach § 3 Nr. 1.6 Satz 1 BRTV sowie für den Beginn und das Ende der Arbeitszeit an der Arbeitsstelle nach § 3 Nr. 4 BRTV. Damit spricht auch die Systematik des BRTV gegen das Erfordernis einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Freistellung unter Anrechnung des Arbeitszeitguthabens. Anhaltspunkte für eine planwidrige Tariflücke in Bezug auf diesen Regelungsgegenstand sind für das Bundesarbeitsgericht nicht ersichtlich.

Sinn und Zweck der Regelung sprechen ebenfalls für das aus dem Wortlaut und dem tariflichen Gesamtzusammenhang folgende Ergebnis.

Bei den Möglichkeiten des Auf- und Abbaus von Guthaben auf dem Arbeitszeit- und Entgeltkonto iSd. § 3 Nr. 1.43 Abs. 1 BRTV sind die Anforderungen an eine betriebliche Arbeitszeitverteilung in einem zwölfmonatigen Ausgleichszeitraum in Abweichung von der tariflichen Arbeitszeitverteilung in den Blick zu nehmen. Eine solche erfordert die Zahlung eines verstetigten Monatslohnes nach § 3 Nr. 1.42 BRTV, dessen Sicherung das Ziel der Vereinbarungen nach § 3 Nr. 1.4 BRTV ist. Bereits § 3 Nr. 1.42 Abs. 2 BRTV ist jedoch zu entnehmen, dass sich der verstetigte Monatslohn in den dort genannten Fällen auch verringern kann. Danach mindert sich der Monatslohn um den Gesamttarifstundenlohn für diejenigen Arbeitsstunden, welche infolge von Urlaub, Krankheit, Kurzarbeit, Zeiten ohne Entgeltfortzahlung, Zeiten unbezahlter Freistellung und Zeiten unentschuldigten Fehlens ausfallen. Ebenso mindert er sich für diejenigen Ausfallstunden außerhalb der Schlechtwetterzeit, die infolge zwingender Witterungsgründe ausfallen, soweit kein Ausgleich über das Ausgleichskonto erfolgt. Die Regelung zeigt, dass der BRTV Fallkonstellationen umfasst, die einen Ausgleich für den Monatslohn iSd. § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV ermöglichen, jedoch nicht in jedem Fall einen witterungsbedingten Grund aufweisen müssen.

Die inhaltliche Weite der Fallgruppe „zum Ausgleich für den Monatslohn“ lässt nicht den Schluss zu, dass sie nur bei Vorliegen der weiteren Tatbestände Geltung beanspruchen soll. Ein Ausgleich des Monatslohnes zur Sicherung eines verstetigten Lohnes ergibt in den Alternativen des Ausscheidens des Arbeitnehmers (aus dem Arbeitsverhältnis) und im Falle seines Todes keinen Sinn. In diesen beiden Fallgruppen dient die in § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV geregelte Auszahlung des gutgeschriebenen Lohnes ausschließlich einer Gesamtabwicklung des Arbeitsverhältnisses durch Auszahlung der für geleistete Arbeit bereits verdienten Vergütung.

Dem so verstandenen Sinn und Zweck der Regelung steht auch eine arbeitsförderrechtliche Schadensverhinderungsobliegenheit nicht entgegen, Guthaben auf Arbeitszeitkonten außerhalb der Schlechtwetterzeit nicht aufzulösen. Eine solche Schadensverhinderungsobliegenheit folgt zwar aus § 101 Abs. 5 Satz 3 SGB III[7]. So haben Arbeitnehmer nach § 101 Abs. 1 SGB III in der Zeit vom 01.12. bis zum 31.03.(Schlechtwetterzeit) Anspruch auf Saison-Kurzarbeitergeld, wenn ua. der Arbeitsausfall nach Abs. 5 erheblich ist. Dies ist er, wenn er auf witterungsbedingten oder wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht, vorübergehend und nicht vermeidbar ist (§ 101 Abs. 5 Satz 1 SGB III). Nach § 101 Abs. 5 Satz 3 SGB III gelten Arbeitsausfälle im Umfang der aufgelösten Arbeitszeitguthaben als vermeidbar, wenn seit der letzten Schlechtwetterzeit Arbeitszeitguthaben, die nicht mindestens ein Jahr bestanden haben, zu anderen Zwecken als zum Ausgleich für einen verstetigten Monatslohn, bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall oder der Freistellung zum Zwecke der Qualifizierung aufgelöst wurden. Darin kommt zum Ausdruck, dass angesammelte Arbeitszeitguthaben grundsätzlich zur Überbrückung witterungsbedingter Arbeitsausfälle in der Schlechtwetterzeit und zur Vermeidung von Kurzarbeit eingesetzt werden müssen. Doch werden noch weitere Zwecke zur Auflösung der Guthaben genannt, für die die Vermeidbarkeit des Arbeitsausfalls ebenfalls unschädlich ist und die keine Verletzung der Schadensverhinderungsobliegenheit bedeuten, nämlich zum Ausgleich für einen verstetigten Monatslohn und bei Freistellung zum Zwecke der Qualifizierung. Dabei hat die Verstetigung des Monatslohnes einen offensichtlichen Bezug zu den Regelungen von § 3 Nr. 1.42 und § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV, womit das Arbeitszeitguthaben unschädlich auch schon vor der Schlechtwetterzeit zur Überbrückung fast aller relevanten Zwecke eingesetzt werden kann[8].

Der tarifliche Gesamtzusammenhang spricht gleichermaßen dafür, die Auszahlung gutgeschriebenen Lohnes und damit den Abbau des Arbeitszeitguthabens zum Ausgleich für den Monatslohn zuzulassen. Die Fallgruppe des witterungsbedingten Arbeitsausfalls in § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 Alt. 2 BRTV wird nicht durch die aufgrund ihrer Weite grundsätzlich auch diesen Tatbestand umfassende Fallgruppe des Ausgleichs für den Monatslohn obsolet. Denn die Erwähnung des witterungsbedingten Arbeitsausfalls trägt der besonderen Bedeutung dieser Fallgruppe im Baugewerbe Rechnung. Darüber hinaus wirkt § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV insoweit mit § 4 Nr. 6.1 Abs. 1 BRTV zusammen, wonach der Lohnanspruch entfällt, wenn die Arbeitsleistung entweder aus zwingenden Witterungsgründen oder in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich wird und der Arbeitgeber verpflichtet ist, mit der nächsten Lohnabrechnung das Saison-Kurzarbeitergeld in der gesetzlichen Höhe zu zahlen, soweit der Lohnausfall in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit nicht durch die Auflösung von Arbeitszeitguthaben ausgeglichen werden kann. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass eine Auszahlung des gutgeschriebenen Lohnes und der Abbau von Zeitguthaben ausschließlich im Fall des witterungsbedingen Arbeitsausfalls zum Ausgleich des Monatslohnes vorgenommen werden können.

Der von der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung entwickelte Beschäftigungsanspruch[9] steht entgegen der Auffassung der Revision diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Zwar ist ein einseitiger Verzicht des Arbeitgebers auf die Arbeitsleistung im Gesetz nicht vorgesehen, weshalb eine einseitige Suspendierung des Arbeitnehmers im bestehenden Arbeitsverhältnis ohne vertragliche Vereinbarung grundsätzlich nicht zulässig ist[10]. Doch findet sich die „vertragliche Vereinbarung“ hier in der kollektivrechtlichen Regelung des § 3 Nr. 1.43 Abs. 3 BRTV, die einen Abbau von Lohn- und Zeitguthaben zulässt. Dies erlaubt der Tarifvertrag nach § 3 Nr. 1.43 Abs. 2 BRTV im Rahmen eines Arbeitszeitguthabens bis zu 150 Stunden und einer Arbeitszeitschuld von bis zu 30 Stunden. Innerhalb dieses Rahmens, der im Streitfall nicht über- bzw. unterschritten wird, kann der Arbeitgeber nach § 3 Nr. 1.41 Abs. 2 BRTV innerhalb von zwölf Kalendermonaten die entsprechende Stundenzahl vor- und nacharbeiten lassen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. September 2020 – 5 AZR 367/19

  1. zu den nach st. Rspr. anzuwendenden allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, vgl. BAG 26.10.2016 – 5 AZR 226/16, Rn. 25 mwN[]
  2. vgl. BAG 23.02.2011 – 5 AZR 108/10, Rn. 9, BAGE 137, 150[]
  3. vgl. BAG 23.02.2011 – 5 AZR 108/10, Rn. 10, aaO[]
  4. vgl. BAG 23.02.2011 – 5 AZR 108/10, Rn. 13, BAGE 137, 150; unzutreffend daher LAG Baden-Württemberg 16.01.2014 – 21 Sa 53/13, Rn. 42[]
  5. vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort: „oder“[]
  6. vgl. Möller in Biedermann/Möller BRTV-Kommentar 9. Aufl. § 3 S. 360[]
  7. vgl. BT-Drs. 16/971 S. 9; vgl. auch Gagel/Bieback Stand Mai 2020 SGB III § 101 Rn. 64; Festner/Nehring in Handbuch Betrieb und Personal Stand Juli 2020 Teil I Leistungen der Arbeitsverwaltung Rn. 264.13[]
  8. vgl. Gagel/Bieback Stand März 2018 SGB III § 101 Rn. 66[]
  9. vgl. hierzu BAG 24.06.2015 – 5 AZR 462/14, 5 AZR 225/14, Rn. 34, BAGE 152, 65[]
  10. vgl. BAG 17.12.2015 – 6 AZR 186/14, Rn. 27, BAGE 154, 28[]

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