Hinweispflicht auf Bodenkontamination

Fehlen in einem Vertrag eines öffentlichen Auftraggebers Angaben zur Kontamination eines zum Aushub und zur Weiterverwendung vorgesehenen Bodens, so kann dies dahin ausgelegt werden, dass eine Bodenkontamination nicht vorliege. Denn grundsätzlich ist der öffentliche Auftraggeber gehalten, ihm mögliche und zumutbare Angaben zu machen.

Hinweispflicht auf Bodenkontamination

Er gibt sich aus den Umständen klar und eindeutig eine Kontaminierung des zum Aushub und zur Weiterverwendung vorgesehenen Bodens, weil der im Leistungsverzeichnis beschriebene Boden regelmäßig kontaminiert ist (hier: Boden unterhalb einer teerhaltigen Asphaltschicht), so fällt die Notwendigkeit eines ausdrücklichen Hinweises weg.

In einem jetzt vom Bundesgerichtshofs entschiedenen Fall verlangte die Auftragnehmerin mit ihrer Klage von den Beklagten zusätzliche Vergütung für Tiefbauarbeiten mit der Begründung, sie habe beim Aushub von Boden unterhalb einer Ortsdurchfahrt schadstoffhaltigen Boden angetroffen, der nicht ausgeschrieben gewesen sei.

Das Landgericht hat die Klage, mit der auch noch andere Ansprüche geltend gemacht worden sind, insoweit abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin, mit der allein die Mehrvergütungsansprüche infolge veränderter Bodenverhältnisse gegen die Beklagte zu 1 in Höhe von 99.806,45 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Kosten von 1.663,50 € und gegen die Beklagte zu 2 in Höhe von 48.421,97 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Kosten von 1.233 € geltend gemacht worden sind, hat das Berufungsgericht ein Grundurteil erlassen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs obliegt die Auslegung, welche Leistung von der Preisabrede in einem Bauvertrag erfasst wird, dem Tatrichter. Eine revisionsrechtliche Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, aner-kannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht. Das Berufungsgericht hat gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze verstoßen. Die dem Bundesgerichtshof selbst mögliche Auslegung ergibt, dass die Preisabrede der Parteien auch den Aushub des kontaminierten Bodens erfasst.

Welche Leistungen von der Vergütungsabrede in einem Bauvertrag erfasst sind, ist durch Auslegung des Vertrages nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, §§ 133, 157 BGB, zu ermitteln. Dabei ist das gesamte Vertragswerk zugrunde zu legen, wozu bei einer öffentlichen Ausschreibung auch die VOB/B gehört. Danach werden durch die vereinbarten Preise alle Leistungen abgegolten, die nach der Leistungsbeschreibung, den verschiedenen Vertragsbedingungen und der gewerblichen Verkehrssitte zu den vertraglichen Leistungen gehören, § 2 Nr. 1 VOB/B. Bei einer öffentlichen Ausschreibung kommt dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung vergleichsweise große Bedeutung zu. Wie diese zu verstehen ist, hängt vom Empfängerhorizont ab. Maßgeblich ist insoweit bei Ausschreibungen nach VOB/A der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter. Die Auslegung hat zu berücksichtigen, dass der Bieter grundsätzlich eine mit den Ausschreibungsgrundsätzen der öffentlichen Hand konforme Ausschreibung erwarten darf. Deshalb darf der Bieter die Leistungsbeschreibung einer öffentlichen Ausschreibung nach der VOB/A im Zweifelsfall so verstehen, dass der Auftraggeber den Anforderungen der VOB/A an die Ausschreibung entsprechen will. Nach diesen Anforderungen ist die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung in gleichem Sinne verstehen müssen und ihre Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können. Dem Auftragnehmer darf kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann. Die für die Ausführung der Leistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, z.B. Boden- und Wasserverhältnisse, sind so zu beschreiben, dass der Bewerber ihre Auswirkungen auf die bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. Die “Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung” in Abschnitt 0 der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen, DIN 18299 ff., sind zu beachten, § 9 Nr. 1 bis 3 VOB/A a.F. Diese Auslegungsgrundsätze hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft angewandt.

Das Berufungsgericht geht fehlerhaft davon aus, aus dem Wortlaut der Verträge ergebe sich, dass der Aushub kontaminierten Materials nicht Ge-genstand der Vereinbarungen sei. Das Gegenteil ist der Fall. Der Boden wird in der Leistungsbeschreibung nicht beschrieben, so dass nach dem Wortlaut der Verträge der Aushub des jeweilig vorgefundenen Bodens geschuldet und von der Preisvereinbarung erfasst ist. Deshalb ist auch der Hinweis des Berufungs-gerichts auf eine Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung verfehlt. Der Auftragnehmer darf sich grundsätzlich darauf verlassen, dass eine Leistung richtig beschrieben ist. Er darf sich auch darauf verlassen, dass Details vollständig angegeben sind, soweit sich aus dem Vertrag nichts Abweichendes ergibt. Da die Beklagte den Boden im Detail nicht beschrieben hat, kommt eine Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung in diesem Sinne nicht in Betracht.

Es kommt deshalb darauf an, ob sich aus den übrigen Umständen, insbesondere der Verkehrssitte oder den Ausschreibungsregelungen der VOB/A oder VOB/C eine Einschränkung des Wortlauts dahin entnehmen lässt, dass der Aushub des Bodens, der mit einem LAGA-Zuordnungswert von Z 1.1 bewertet worden ist, nicht von den Preisvereinbarungen erfasst ist.

Das Berufungsgericht geht insoweit davon aus, dass die Leistungsbeschreibung nur dann den Anforderungen an § 9 Nr. 1 und Nr. 3 VOB/A a.F. entspricht, wenn die vorgefundene Kontamination darin erwähnt worden wäre. Das entnimmt es auch den Regelungen in DIN 18299 und 18300. Dabei geht es jedoch von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Richtig ist, dass auch bei einer nach dem Wortlaut umfassend beschriebenen Leistung unter dem Gesichtspunkt ein einschränkendes Verständnis der Preisvereinbarung möglich ist, dass ansonsten unter Verstoß gegen die Ausschreibungsgrundsätze ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt würde. Das Berufungsgericht geht jedoch zu Unrecht davon aus, dass ein solcher Verstoß vorliege, weil unter den gegebenen Umständen die genannten Ausschreibungsgrundsätze nur gewahrt sein könnten, wenn eine vorgefundene Bodenkontamination ausdrücklich beschrieben sei.

Inwieweit eine Ausschreibung den Anforderungen des § 9 VOB/A a.F. entspricht, beurteilt sich nicht allein danach, ob einzelne Leistungsdetails beschrieben sind, sondern nach dem objektiven Verständnis der potentiellen Bieter von der vorhandenen Leistungsbeschreibung. Ergibt sich aus der Leistungsbeschreibung unter Berücksichtigung aller dem Vertrag zugrunde liegenden Umstände klar und eindeutig, dass ein bestimmtes Leistungsdetail Gegenstand der Preisvereinbarung ist, so bedarf es seiner weiteren Erwähnung im Vertrag grundsätzlich nicht. Denn dann ist die Leistung auch ohne Erwähnung dieses Details eindeutig und erschöpfend beschrieben, § 9 Nr. 1 Satz 1 VOB/A a.F., und dem Auftragnehmer wird durch Weglassen des Details kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet, § 9 Nr. 2 VOB/A a.F. Dieser Grundsatz gilt auch, soweit es um die Beschreibung von Bodenverhältnissen geht. Bodenverhältnisse können durch Beschreibung im Vertrag zum von der Vergütungsvereinbarung erfassten Leistungsinhalt erhoben werden. Möglich ist auch, dass bestimmte Bodenverhältnisse, wie z.B. Kontaminationen, negativ als nicht von der Vergütungsvereinbarung erfasst ausgeschlossen werden. Insoweit kann den Ausschreibungsregeln der VOB/A ohne Weiteres entnommen werden, dass Bodenkontaminationen in Verträgen über den Aushub und die Weiterverwendung von Boden durch den Auftragnehmer grundsätzlich aus der Leistungsbeschreibung hervorgehen müssen, soweit der Auftraggeber zu einer solchen Beschreibung nach den Umständen in der Lage und diese zumutbar ist. Denn Kontaminationen haben regelmäßig erhebliche Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Weiterverwendung und beeinflussen deshalb die Preisbildung. In aller Regel wird es daher notwendig sein, mögliche und zumutbare Angaben zur Bodenkontamination in der Leistungsbeschreibung ausdrücklich zu erfassen, damit eine verlässliche Preisermittlung möglich ist.

Ihre ausdrückliche Angabe ist jedoch nicht zwingend. Sie kann unterbleiben, wenn sich aus den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass eine Bodenkontamination vorliegt. Davon gehen – wie das Berufungsgericht und die Revisionserwiderung verkennen – auch die in § 9 Nr. 3 Abs. 4 VOB/A a.F. in Bezug genommenen Ausschreibungsregeln in DIN 18299 und DIN 18300 aus. Sowohl nach DIN 18299 Abschnitt 0.1.20 als auch nach DIN 18300 Abschnitt 0.2.3 ist in der Leistungsbeschreibung die Schadstoffbelastung “nach den Erfordernissen des Einzelfalles” anzugeben. Das bedeutet, dass im Einzelfall die ausdrückliche Angabe der Schadstoffbelastung auch entbehrlich sein kann, wenn damit den in § 9 VOB/A zum Schutz des Bieters enthaltenen Ausschreibungsgrundsätzen Genüge getan ist. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Schadstoffbelastung keiner weiteren Erwähnung bedarf, weil sie sich aus den übrigen Umständen klar ergibt.

Der Bundesgerichtshof kann – weil weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind – die Auslegung abschließend selbst vornehmen. Danach ist der von der Klägerin ausgehobene Boden Gegenstand der Ausschreibung und Vergütungsvereinbarung. Ein Anspruch aus § 2 Nr. 5 VOB/B besteht nicht.

Aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen, die insoweit von den Parteien nicht in Frage gestellt werden, steht fest, dass sich unterhalb der Asphaltdecke einer Ortsdurchfahrt regelmäßig ein mit Schadstoffen belasteter Boden befindet. Denn in der Regel sind die Bodenschichten unter einer alten Asphaltdecke durch nach unten sickernde Schadstoffe aus dem teerbelasteten Asphalt ebenfalls belastet. Die Belastungen des Unterbaus schwanken in der Regel zwischen LAGA – Zuordnungswerten Z 1.1, Z 1.2, Z 2 und > Z

Es kann zwar auch – worauf die Klägerin wiederholt hingewiesen hat – unbelasteter Boden vorgefunden werden; das ist jedoch bei Ortsdurchfahrten selten. Unerheblich ist, dass die Mengen teerhaltigen Materials im Verhältnis zu den sonstigen Mengen des Leistungsverzeichnisses nur in geringem Umfang ausgeschrieben waren. Denn das stellt nicht in Frage, dass den potentiellen Bietern bei der Angebotskalkulation bewusst sein musste, dass sie unterhalb der Asphaltdecke regelmäßig belasteten Boden antreffen werden. Insoweit kommt es auf den verständigen und fachkundigen Bieter an, der sich nicht darauf berufen kann, im Angebotsstadium würde dies seiner Aufmerksamkeit entgehen können, so dass der Auftraggeber verpflichtet sei, ihn sozusagen warnend ausdrücklich auf die Kontamination des Bodens aufmerksam zu machen. Einer solchen Warnung bedarf es nicht, wenn von dem fachkundigen Bieter die Kenntnis voraus-gesetzt werden kann, dass regelmäßig kontaminierter Boden vorliegt. Das ist hier der Fall.

Bei dieser Sachlage hat ein Bieter grundsätzlich keinen Grund zu der Annahme, der gemeinsam mit der Entfernung der Asphaltdecke ausgeschriebene Bodenaushub unterhalb dieser Decke könne schadstofffreien Boden betreffen. Gibt es keine besonderen Erkenntnisse über den Boden, stellt sich für ihn die Leistungsbeschreibung in gleicher Weise wie für den Auftraggeber so dar, dass ein noch nicht untersuchter Boden entfernt werden soll, der regelmäßig schadstoffbelastet ist. Die Möglichkeit, dass auch Boden des Zuordnungswertes Z 0 angetroffen werden könnte, ändert nichts, weil das regelmäßig nicht der Fall ist. Vielmehr ist auch ohne weitere Erwähnung der Schadstoffbelastung klar, dass die naheliegende Möglichkeit einer Kontamination besteht und die Preise unter Einbeziehung dieser Möglichkeit kalkuliert werden sollen. In einem solchen Fall liegt ein Verstoß gegen die Ausschreibungsregeln der DIN 18299 und DIN 18300 nicht vor, denn die Erwähnung der Kontamination ist nach den Erfordernissen des Einzelfalls nicht geboten.

An dieser Beurteilung ändert sich nichts dadurch, dass den Beklagten ein Verstoß gegen die beschriebenen Ausschreibungsregeln unterlaufen sein könnte, weil sie keine Angaben gemacht haben, die der Klägerin die genaue Einordnung des Bodens in die verschiedenen LAGA-Zuordnungswerte ermöglicht hätte. Diese Angaben könnten deshalb notwendig gewesen sein, weil die Möglichkeiten der Weiterverwendung umso mehr eingeschränkt sind, je höher der Zuordnungswert ist. Bei hohen Werten kann eine Weiterverwendung ganz ausgeschlossen sein. Diese Unterlassung rechtfertigt nicht die Auslegung des Vertrages, es werde ein schadstofffreier Boden vorgefunden. Vielmehr wird ein regelmäßig belasteter Boden vorausgesetzt. Die Klägerin muss sich an diesem Aussagewert des Vertrages fest halten lassen, auch wenn sie insoweit ein Risiko eingegangen ist. Das Risiko einer hohen Belastung hat sich im Übrigen nicht verwirklicht. Die Klägerin hat einen nur gering schadstoffhaltigen Boden vorgefunden, der offen jedenfalls in technische Bauwerke eingebaut werden kann. Soweit es um das Risiko geht, dass ein zur Weiterverwendung ungeeigneter Boden vorgefunden wird, ist darauf hinzuweisen, dass der Vertrag einen Boden voraussetzt, der zur Weiterverwendung geeignet ist. Das ergibt sich aus den zahlreichen Positionen, in denen diese ausdrücklich vorgesehen ist. Wäre ein nicht zur Weiterverwendung vorgesehener Boden angetroffen worden, hätte die Klägerin eine Preisanpassung gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B oder jedenfalls nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage verlangen können.

Der vom Bundesgerichtshof vorgenommenen Auslegung des Vertrages steht nicht das Ergebnis der Umfrage entgegen, die der Sachverständige bei acht heimischen Bauunternehmern vorgenommen hat. Diese haben allerdings angegeben, sie wären bei der Kalkulation von unbelastetem Boden ausgegangen. Das ist im Hinblick darauf, dass regelmäßig belasteter Boden unterhalb der Teerdecke anzufinden ist, nicht nachvollziehbar. Die Antworten der angefragten Unternehmer lassen nicht erkennen, warum sie trotz dieses Umstandes von einem unbelasteten Boden ausgehen. Sie geben nicht das objektive Verständnis eines fachkundigen Bieters wieder, auf das es allein ankommt.

Schließlich spielt es keine Rolle, dass die Beklagte und vergleichbare Behörden nunmehr möglicherweise die LAGA-Zuordnungswerte in den Ausschreibungen angeben. Allerdings kann ein einheitliches oder weit verbreitetes Ausschreibungsverhalten maßgeblichen Einfluss auf die Verkehrssitte und damit das Verständnis eines Vertrages haben. Werden LAGA-Zuordnungswerte nunmehr in den öffentlichen Ausschreibungen angegeben, so kann das Unterlassen einer solchen Angabe Einfluss auf das Verständnis des maßgeblichen Bieterkreises haben. Von der Klägerin ist nicht dargetan, dass bereits im Jahre 2002 eine solche allgemeine Handhabung vorlag. Dass einzelne Straßenverkehrsbehörden bereits LAGA-Zuordnungswerte angegeben haben, ist unerheblich.

Ein Anspruch aus § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil den Beklagten kein entscheidungserheblicher Verstoß gegen Vergabevorschriften zur Last fällt. Auch ein Anspruch auf Preisanpassung gemäß § 313 BGB ist nicht ersichtlich. Geschäftsgrundlage des Vertrages ist nicht geworden, dass ein Boden des LAGA-Zuordnungswertes 1.1 nicht vorgefunden wird.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11