Verfallfristen für die Sozialkassenbeiträge in der Bauwirtschaft

Für die Beitragsansprüche der Sozialkassen der Bauwirtschaft, die nach dem 1.01.2015 fällig geworden sind, gilt eine Verfallfrist von drei Jahren.

Verfallfristen für die Sozialkassenbeiträge in der Bauwirtschaft

Zwar galt nach § 21 Abs. 1 der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 03.05.2013 iin der Fassung vom 10.12.2014 (VTV 2014) sowie in der Fassung vom 24.11.2015 (VTV 2015) zunächst für Ansprüche der zuständigen Kasse gegen den Arbeitgeber – abgesehen von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung – eine Verfallfrist von vier Jahren seit Fälligkeit. Die Tarifvertragsparteien haben jedoch mit dem Inkrafttreten des VTV 2018 zum 1.01.2019 die Verfallfrist für solche Ansprüche, die nach dem Ablauf des Jahres 2014 fällig geworden sind, auf drei Jahre verkürzt. Diese Verkürzung ist wirksam.

Der VTV 2014 und 2015 ist nach § 31 Satz 2 VTV 2018 mit Inkrafttreten des VTV 2018 zum 1.01.2019 außer Kraft getreten. Dadurch kam es nach allgemeinen tarifrechtlichen Grundsätzen zu einer Ablösung dieses Tarifvertrags, nicht aber zu dessen rückwirkender Aufhebung[1]. Gleiches ergibt sich unter Berücksichtigung der Bestimmungen des SokaSiG. Der VTV 2014 galt nach § 7 Abs. 2 SokaSiG ohnehin nur für die Zeit vom 01.01.bis zum 31.12.2015. Hinsichtlich des VTV 2015 sieht § 7 Abs. 1 SokaSiG vor, dass dieser bis zur Beendigung des Tarifvertrags gelten soll. Nach § 9 Abs. 1 SokaSiG endet ein Tarifvertrag iSd. Gesetzes, wenn er durch einen anderen Tarifvertrag ganz oder teilweise abgelöst wird. Dies war hier – wie dargelegt – ab dem Inkrafttreten des VTV 2018 am 1.01.2019 der Fall.

Wie § 21 Abs. 1 VTV 2018 bestimmt, sollte im Zuge der Ablösung die bislang geltende vierjährige Verfallfrist auch für Ansprüche der Kasse auf Grundlage der früheren VTV auf drei Jahre verkürzt werden. Die Neuregelung ordnet nach ihrem Wortlaut die Geltung der dreijährigen Verfallfrist nach Satz 1 allgemein an. Ausgenommen hiervon waren nach Satz 2 nur Ansprüche, die bis zum Ablauf des Jahres 2014 fällig geworden sind. Für diese soll weiterhin eine vierjährige Verfallfrist gelten. Um solche Ansprüche geht es vorliegend nicht. Mit der Ausnahmeregelung wird aber deutlich, dass in allen anderen Fällen, dh. für alle nach dem Ablauf des Jahres 2014 fällig werdenden Ansprüche zulasten der jeweiligen Kasse, die neue, verkürzte Verfallfrist gelten soll.

Rechtliche Bedenken gegen diese mit der Ablösung verbundene Verkürzung der Verfallfrist zulasten der Sozialkasse hat das Bundesarbeitsgericht nicht.

Die Verfahrensregeln des Sozialkassenverfahrens werden im Verhältnis zu den Sozialkassen allein durch die Tarifvertragsparteien bestimmt. Er ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien (vgl. § 8 Ziff. 15 Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe) ausführendes Organ zur Umsetzung der tarifvertraglichen Regelungen, ohne insoweit eigene Rechte geltend machen zu können[2]. Deshalb kommt eine Berufung der Sozialkassen auf Vertrauensschutzaspekte unter dem Gesichtspunkt einer möglichen (unechten) Rückwirkung gegenüber den Tarifvertragsparteien und den durch diese getroffenen tarifvertraglichen Verfahrensregelungen des VTV nicht in Betracht[3].

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Sozialkasse auch nicht daraus, dass der VTV 2014 und 2015 auch auf Grundlage des SokaSiG galt. Wie dargelegt, war die Rechtsnormerstreckung durch das SokaSiG zeitlich begrenzt bis zur Beendigung des erstreckten Tarifvertrags, also bis zum 31.12.2018. Eine Verkürzung der Verfallfristen auf einen davorliegenden Zeitraum nimmt § 21 Abs. 1 VTV 2018 nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Regelungen des SokaSiG nicht entsprechend zeitlich begrenzen durfte, sind nicht gegeben. Vielmehr ist allein der Geltungsbefehl des demokratisch legitimierten Gesetzgebers maßgeblich für die Tarifnormerstreckung[4] und insoweit auch für die Frage der zeitlichen Dauer derselben. Das entspricht dem Willen des Gesetzgebers des SokaSiG, wonach das Sozialkassenverfahren nur vorübergehend auf gesetzlicher Grundlage zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe basieren sollte. In Zukunft sollte Grundlage wieder ein Tarifvertrag als Ausfluss der Tarifautonomie iVm. der Möglichkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG sein[5]. Dies ist mit dem VTV 2018 erfolgt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 10 AZR 341/20

  1. vgl. BAG 27.04.2022 – 10 AZR 322/20, Rn.19 mwN; zur Ablösung durch einen neuen Tarifvertrag allgemein vgl. BAG 24.02.2021 – 7 AZR 99/19, Rn. 21 mwN[]
  2. vgl. schon zur fehlenden Antragsbefugnis nach § 98 ArbGG BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, Rn. 84, BAGE 156, 213; zu § 97 ArbGG BAG 29.06.2004 – 1 ABR 14/13, zu B I 1 der Gründe, BAGE 111, 164[]
  3. Vertrauensschutz iE ebenso ablehnend Hess. LAG 27.05.2022 – 10 Sa 1272/21 SK[]
  4. BVerfG 11.08.2020 – 1 BvR 2654/17, Rn. 34[]
  5. vgl. BT-Drs. 18/10631 S. 1 ff., 647 ff.[]