Gewerbliche Nutzung und Verwaltung von Immobilienvermögen – und die Beitragspflicht zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft

Eine GmbH mit dem Geschäftszweck, Immobilien zu betreuen, die im Allein- oder Miteigentum ihrer alleinigen Gesellschafterin stehen, die zur Immobilienbetreuung, insbesondere zur Abwicklung der Mietverträge, Angestellte einsetzt, unterliegt der Beitragspflicht zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft

Gewerbliche Nutzung und Verwaltung von Immobilienvermögen – und die Beitragspflicht zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft

Die Pflicht der Arbeitgeberin, Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft zu leisten, ergibt sich aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. V Nr. 9, Nr. 15, Nr. 16, Nr. 23, Nr. 37, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 18 Abs. 2 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2009. An den VTV 2009 ist die Arbeitgeberin nach § 7 Abs. 7 iVm. der Anlage 32 SokaSiG gebunden. Es bestehen keine Bedenken daran, dass das SokaSiG als Geltungsgrund für die VTV verfassungsgemäß ist[1]. Gewerbliche Arbeitnehmer werden vom persönlichen Geltungsbereich erfasst (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VTV 2009).

Der Betrieb der Arbeitgeberin wird vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV 2009 erfasst. Das Gesamtbild der betrieblichen Tätigkeit entsprach den allgemeinen Vorstellungen von einem planmäßigen (Bau-)Geschäftsbetrieb und damit einer gewerblichen Tätigkeit. Die versehenen Tätigkeiten stellen bauliche Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 9, Nr. 15, Nr. 16, Nr. 23 und Nr. 37 VTV 2009 dar.

§ 1 Abs. 2 Satz 1 VTV 2009 erstreckt, beschränkt zugleich aber auch den betrieblichen Geltungsbereich auf Betriebe des Baugewerbes. Die Tarifnorm verlangt, dass „gewerblich“ entweder Bauten aller Art erstellt (Abschnitt I) oder andere bauliche Leistungen erbracht werden (Abschnitt II und Abschnitt III). Die Gewerblichkeit des Betriebs ist danach ein allgemeines Tatbestandsmerkmal des § 1 Abs. 2 der VTV, das unabhängig von den Detailregelungen in den Abschnitten I bis V des § 1 Abs. 2 der VTV erfüllt sein muss[2].

Eine gewerbliche Nutzung und Verwaltung eigenen Immobilienvermögens ist anzunehmen, wenn das Gesamtbild der Betätigung den allgemeinen Vorstellungen von einem planmäßigen (Bau-)Geschäftsbetrieb entspricht. Das ist regelmäßig der Fall, wenn die Vermögensnutzung und -verwaltung in einem das Private übersteigenden Maß der Wertschöpfung dient, weil die damit verbundenen organisatorischen, personellen und wirtschaftlichen Vorgänge eine professionelle Führung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen verlangen. Eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich[3].

Damit ein Betrieb vom Geltungsbereich der VTV erfasst wird, ist darüber hinaus erforderlich, dass im Kalenderjahr des Anspruchszeitraums in ihm arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt wurden, die unter § 1 Abs. 2 Abschn. I bis V der jeweiligen VTV fallen. Werden baugewerbliche Tätigkeiten in diesem Sinn erbracht, sind ihnen auch diejenigen Nebenarbeiten zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistungen notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst und auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an. Für den Geltungsbereich der VTV reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen ihrer Abschnitte IV oder V genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets vom betrieblichen Geltungsbereich der VTV erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III zusätzlich geprüft werden müssen. Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschnitten IV und V genannten Beispielstätigkeiten versehen werden, muss darüber hinaus festgestellt werden, ob die ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III erfüllen[4].

Nach diesen Maßstäben hat das Landesarbeitsgericht den Vortrag der Sozialkasse, die Arbeitgeberin habe im Klagezeitraum einen Gewerbebetrieb iSd. VTV unterhalten, in dem arbeitszeitlich überwiegend bauliche Leistungen erbracht worden seien, im Ergebnis zu Recht für schlüssig und die entsprechenden Darlegungen der Arbeitgeberin für nicht erheblich gehalten. Die von der Arbeitgeberin insoweit erhobenen Verfahrensrügen hat das Bundesarbeitsgericht geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).

Das Bundesarbeitsgericht hat für die Zeiträume von Januar bis November 2012 und von Dezember 2012 bis Dezember 2013 bereits entschieden und für den erstgenannten Zeitabschnitt ausführlich begründet, dass die Arbeitgeberin einen Gewerbebetrieb iSd. VTV unterhält[5]. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf Bezug genommen. Die vom Landesarbeitsgericht für den Klagezeitraum festgestellten Tatsachen führen zu keiner anderen Beurteilung. Neue; vom Bundesarbeitsgericht nicht bereits behandelte Argumente werden von der Revision nicht vorgebracht.

Die im Betrieb der Arbeitgeberin arbeitszeitlich überwiegend ausgeführten Tätigkeiten sind bauliche Leistungen iSd. VTV 2009.

Die Sozialkasse hat schlüssig behauptet, dass die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin im Klagezeitraum arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten verrichtet haben, die unter den Abschnitt V des § 1 Abs. 2 VTV 2009 fallen. Die Verlege- und Montagebauarbeiten unterfallen § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 15 und Nr. 37 VTV 2009. Die Dämm- und Isolierarbeiten werden von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 9 VTV 2009, die Maurerarbeiten von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 23 VTV 2009 und die Verfugungsarbeiten – sofern nicht Teil der Verlegetätigkeit iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 15 VTV 2009[6] – von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 16 VTV 2009 erfasst.

Die von der Arbeitgeberin gegen die Schlüssigkeit des Klägervortrags vorgebrachten Argumente führen zu keinem anderen Ergebnis. Das Bundesarbeitsgericht hat sie bereits in einem früheren Verfahren[7] geprüft und für nicht durchgreifend erachtet; zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die dortigen Entscheidungsgründe Bezug genommen[8]. Der von der Arbeitgeberin darüber hinaus geltend gemachte Einwand, abgeurteilte Vorgänge könnten mit Blick auf den Grundsatz „ne bis in idem“ nicht einer zweiten Gerichtsverhandlung in derselben Sache unterzogen werden, verfängt ebenso wenig. Die Streitgegenstände der früheren Verfahren stimmen weder mit dem des gegenständlichen Rechtsstreits überein noch bilden sie eine Vorfrage für dessen Entscheidung. Die vorgebrachten Tatsachen sind daher unabhängig davon zu würdigen, dass sie auch in einen vorhergehenden Rechtsstreit eingeführt worden sind. Dem schlüssigen Vortrag der Sozialkasse ist die Arbeitgeberin nicht hinreichend iSv. § 138 Abs. 2 ZPO entgegengetreten. Die von der Arbeitgeberin vorgebrachten Tatsachen und Erwägungen hat das Bundesarbeitsgericht ebenfalls bereits geprüft[9]. Sie greifen auch im hier entschiedenen Streitfall nicht durch.

Die Sozialkasse hat ihre Forderungen auf der Grundlage der vom Statistischen Bundesamt ermittelten durchschnittlichen Bruttomonatslöhne in der Bauwirtschaft erhoben. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Sozialkasse berechtigt, die geschuldeten Beiträge mit einer Durchschnittsbeitragsklage geltend zu machen und dafür die vom Statistischen Bundesamt ermittelten durchschnittlichen Bruttomonatslöhne in der Bauwirtschaft heranzuziehen[10]

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Juni 2022 – 10 AZR 388/19

  1. BVerfG 11.08.2020 – 1 BvR 2654/17, Rn. 14 ff.; 11.08.2020 – 1 BvR 1115/18, Rn. 2; BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 42 ff., BAGE 164, 201[]
  2. ausführlich BAG 16.09.2020 – 10 AZR 56/19, Rn. 21 ff., BAGE 172, 197[]
  3. BAG 16.09.2020 – 10 AZR 56/19, Rn. 30 ff., BAGE 172, 197[]
  4. st. Rspr., zB BAG 8.12.2021 – 10 AZR 362/19, Rn.19[]
  5. BAG 16.09.2020 – 10 AZR 56/19, Rn. 35 ff., BAGE 172, 197; 16.09.2020 – 10 AZR 57/19 – [unter Verzicht auf Tatbestand und Entscheidungsgründe][]
  6. vgl. BAG 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 31[]
  7. BAG 16.09.2020 – 10 AZR 56/19[]
  8. vgl. BAG 16.09.2020 – 10 AZR 56/19, Rn. 46 f., BAGE 172, 197[]
  9. BAG 16.09.2020 – 10 AZR 56/19, Rn. 49 ff., BAGE 172, 197[]
  10. st. Rspr., zB BAG 16.06.2021 – 10 AZR 217/19, Rn. 37[]