Gebäudeanhebungen – und die Sozialkassen des Baugewerbes

Ein Betrieb, der Gebäude mit hydraulischen Hubvorrichtungen anhebt, fällt nach § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes in den betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge.

Gebäudeanhebungen – und die Sozialkassen des Baugewerbes

Ein Betrieb wird vom Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes erfasst, wenn im Kalenderjahr des Anspruchszeitraums in ihm arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt wurden, die unter § 1 Abs. 2 Abschn. I bis V der jeweiligen Verfahrenstarifverträge fallen. Werden baugewerbliche Tätigkeiten in diesem Sinn erbracht, sind ihnen auch diejenigen Nebenarbeiten zuzuordnen, die zu einer sachgerechten Ausführung der baulichen Leistungen notwendig sind und deshalb mit ihnen im Zusammenhang stehen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst und auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an. Für den Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen ihrer Abschnitte IV oder V genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets vom betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III zusätzlich geprüft werden müssen. Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschnitten IV und V genannten Beispielstätigkeiten versehen werden, muss darüber hinaus festgestellt werden, ob die ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III erfüllen[1].

 Die im Betrieb versehenen Tätigkeiten der Anhebung von Gebäuden mit hydraulischen Hubvorrichtungen erfüllen keines der Regelbeispiele des § 1 Abs. 2 Abschn. IV und V der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes. Der Arbeitgeber führt insbesondere keine Bautenschutzarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 2 VTV 2013 II aus.

 Bautenschutzarbeiten nach § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 2 VTV 2013 II dienen dazu, Schäden an Bauwerken und Bauteilen zu beseitigen und zukünftige Schäden zu verhindern. Dazu gehören beispielsweise Fugenabdichtungen, das Trockenlegen durchfeuchteter Bauwerke, Abdichtungsarbeiten, das Imprägnieren durchfeuchteter Außenwandflächen oder Betonimprägnierungsarbeiten einschließlich kleinerer Ausbesserungsarbeiten ohne Eingriff in tragende Teile. In der Regel handelt es sich dabei um Tätigkeiten, die jeweils für sich genommen den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes unterfallen wie Abdichtungsarbeiten nach Nr. 1, Bautrocknungsarbeiten nach Nr. 4, Fugarbeiten nach Nr. 16 und Holzschutzarbeiten nach Nr. 21[2].

Danach führt der Arbeitgeber keine Bautenschutzarbeiten nach § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 2 VTV 2013 II aus. Seine Tätigkeit ist nicht darauf gerichtet, Schäden an Bauwerken und Bauteilen zu beseitigen und ihnen vorbeugend entgegenzuwirken, ohne dabei in tragende Teile einzugreifen. Bautenschutzarbeiten betreffen regelmäßig Beeinträchtigungen der Oberfläche des Gebäudes. Dagegen wirkt der Arbeitgeber bei der Hebung unmittelbar auf das Gebäude, seine Statik und seine tragenden Teile ein.

Die von dem Arbeitgeber nach eigenem Vortrag ausgeübten Tätigkeiten sind jedoch als bauliche Leistungen iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV 2013 II einzuordnen.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden, obliegt der Sozialkasse. Ihr Sachvortrag ist schlüssig, wenn sie Tatsachen vorträgt, die den Schluss zulassen, der Betrieb des Arbeitgebers werde vom betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes erfasst. Dazu gehört neben der Darlegung von Arbeiten, die sich § 1 Abs. 2 der Verfahrenstarifverträge zuordnen lassen, auch die Darlegung, dass diese Tätigkeiten insgesamt arbeitszeitlich überwiegen[3]. Ist entsprechender Tatsachenvortrag gehalten, hat sich der Arbeitgeber hierzu nach § 138 Abs. 2 ZPO zu erklären. Das substantiierte Bestreiten kann sich auf die Art und/oder den Umfang der verrichteten Arbeiten beziehen. Um feststellen zu können, welche Tätigkeiten in welchem Umfang ausgeübt wurden, muss der Arbeitgeber im Rahmen des substantiierten Bestreitens entsprechende Tatsachen vortragen. Dazu gehört auch die Darlegung der zeitlichen Anteile der verschiedenen Tätigkeiten[4].

Hiernach unterfiel im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall der Betrieb im Streitzeitraum dem betrieblichen Geltungsbereich nach § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV 2013 II. Die Sozialkasse hat zunächst schlüssig zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV 2013 II vorgetragen und hat dargelegt, im Betrieb seien arbeitszeitlich überwiegend Häuser und Gebäudeteile angehoben, (Nach-)Fundamentierungen vorgenommen und damit im Zusammenhang stehende Hilfsarbeiten durchgeführt worden. Die Arbeitnehmer von Subunternehmen seien angeleitet und überwacht worden. Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber alle von der Sozialkasse behaupteten Tätigkeiten ausgeführt hat. Vorliegend ist der Arbeitgeber dem Vortrag der Sozialkasse nicht in erheblicher Weise entgegengetreten. Sein Vorbringen, dass er keine Fundamentierungsarbeiten und damit im Zusammenhang anfallende Arbeiten ausgeführt habe und er die Subunternehmer nicht angeleitet und überwacht habe, kann als zutreffend unterstellt werden. Der betriebliche Geltungsbereich des VTV 2013 II ist auch eröffnet, wenn der Arbeitgeber entsprechend seinem eigenen Vortrag ausschließlich Haushebungen durchgeführt und die übrige Zeit auf die Wartung der Maschinen und Gerätschaften verwandt hat. Es kommt nicht darauf an, ob er den überwiegenden Teil der betrieblichen Arbeitszeit auf die eigentlichen Hebevorgänge oder auf die Wartung und Instandsetzung von Arbeitsmitteln verwandt hat.

Das Anheben von Häusern, Gebäudeteilen und Dachstühlen in der im Betrieb unstreitig durchgeführten Weise ist eine bauliche Tätigkeit iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV 2013 II.

Der Arbeitgeber erbrachte im Streitzeitraum „nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung bauliche Leistungen“ iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV 2013 II.

Dieses Tarifmerkmal des § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes erfüllen Betriebe, wenn sie arbeitszeitlich überwiegend Arbeiten ausführen, die irgendwie – wenn auch nur auf einem kleinen und speziellen Gebiet – der Errichtung und Vollendung von Bauwerken oder auch der Instandsetzung oder Instandhaltung von Bauwerken zu dienen bestimmt sind, sodass diese in vollem Umfang ihre bestimmungsgemäßen Zwecke erfüllen können[5].

Indem der Arbeitgeber mit seinem Betrieb Gebäude oder Teile davon anhebt, erbringt er nach der „durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung“ des Betriebs bauliche Leistungen nach § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV 2013 II, weil die Arbeiten der Instandsetzung oder Änderung von Bauwerken dienen. Durch die Arbeiten wird sichergestellt, dass das Bauwerk seine bestimmungsgemäßen Zwecke in vollem Umfang erfüllen kann. Das gilt unabhängig davon, ob die Anhebung beispielsweise einer Durchfeuchtung entgegenwirken soll oder die horizontale Ausrichtung des Gebäudes hergestellt oder neuer Wohnraum geschaffen werden soll.

Der Arbeitgeber erbrachte nach der „betrieblichen Einrichtung bauliche Leistungen“ iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. II VTV 2013 II.

Dieses Tarifmerkmal des § 1 Abs. 2 Abschn. II der Verfahrenstarifverträge erfüllen Betriebe, wenn sie Leistungen mit Werkstoffen, Arbeitsmitteln und -methoden des Baugewerbes ausführen[6].

Im Betrieb werden Leistungen mit Arbeitsmitteln und -methoden des Baugewerbes ausgeführt. Hydraulische Hubvorrichtungen und Hubtürme werden regelmäßig beim Brückenbau eingesetzt. Sie dienen beispielsweise dazu, abgesackte Brücken wieder in ihre Ursprungslage zu heben. Sie sind daher als typische Arbeitsmittel des Baugewerbes anzusehen. Dem steht nicht entgegen, dass zu den wesentlichen Arbeitsmitteln des Arbeitgebers ein Computer und spezielle Software gehören, um die Hebungen zu koordinieren und zu überwachen. Diese technischen Hilfsmittel ergänzen die für Gebäudehebungen maßgeblichen Kenntnisse und Fähigkeiten. Auch technisch hochkomplexe Werkzeuge und Maschinen werden als Arbeitsmittel im Baugewerbe eingesetzt[7]. Eine andere Bewertung ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass derartige Hebevorrichtungen auch im Schiffbau eingesetzt werden. Zahlreiche typische Geräte des Baugewerbes wie Spaten, Hammer, Wasserwaage und Rohrzange werden von anderen Berufssparten verwendet, ohne dadurch ihren Charakter als Baugeräte zu verlieren[8]. Bei den von dem Arbeitgeber verwendeten Lastverteilplatten handelt es sich um typische Arbeitsmittel des Baugewerbes. Sie bestehen aus Metall oder Kunststoff und werden beispielsweise im Straßenbau zur Errichtung einer temporären Baustraße genutzt, um den Baustellenfahrzeugen das Befahren der Baustelle auf unebenem, noch nicht asphaltiertem Untergrund zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die in die Hubspalte gestellten (Stahlscheren-)Keile und das Klotzmaterial sind ebenfalls typische Arbeitsmittel des Baugewerbes.

Der Arbeitgeber kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er führe selbst keine baulichen Leistungen aus, sondern ermögliche lediglich, dass andere Unternehmen bauliche Arbeiten vornehmen könnten. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber ausschließlich die Hebung von Gebäuden durchführt und keine anderen baulichen Leistungen erbringt, wie etwa die von der Sozialkasse vorgetragenen Fundamentierungsarbeiten. Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers erbringt er nicht lediglich Arbeiten wie ein Statiker oder Architekt, die der eigentlichen baulichen Tätigkeit vorausgehen. Der Arbeitgeber verändert mit den von ihm durchgeführten Hebungen die Bauwerke selbst unmittelbar. Er erbringt keine Tätigkeiten, die mit denjenigen eines Statikers oder Architekten vergleichbar wären. Vielmehr hat der Arbeitgeber bei den Haushebungen statische Vorgaben umzusetzen.

Anders als der Arbeitgeber meint, kommt es für die bauliche Prägung seiner Arbeiten nicht darauf an, ob bei den Hebungen Werkstoffe unmittelbar in das Gebäude eingebracht werden. Bereits die Regelbeispiele in § 1 Abs. 2 Abschn. V der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes zeigen, dass nicht entscheidend ist, ob Werkstoffe in ein Bauwerk eingebracht werden. So gehören nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 6 und 10 der Verfahrenstarifverträge beispielsweise Bohrarbeiten oder Erdbewegungsarbeiten zu den baugewerblichen Tätigkeiten, unabhängig davon, ob Werkstoffe in ein Bauwerk eingebracht werden.

Die Wartung und die Reparatur der Arbeitsmittel sind der baulichen Haupttätigkeit des Arbeitgebers als Zusammenhangstätigkeiten zuzurechnen. Dem steht nicht entgegen, dass die Zusammenhangstätigkeiten die Haupttätigkeit nach dem Vortrag des Arbeitgebers arbeitszeitlich überwiegen.

Dem steht nicht entgegen, dass das Bundessozialgericht den Transport von Abbruch- und Aushubmaterial den baulichen Abbruch- und Aushubarbeiten nicht als Zusammenhangstätigkeit zugerechnet hat, wenn der Transport von seinem zeitlichen Aufwand her nicht von untergeordneter Bedeutung ist[9]. Die Voraussetzungen einer Beitragspflicht nach den Verfahrenstarifverträgen und einer Umlagepflicht nach § 354 iVm. § 102 SGB III sind nicht deckungsgleich. Ein und derselbe Betrieb kann der Beitragspflicht zu den Sozialkassen des Baugewerbes unterliegen, nicht aber der Umlagepflicht nach dem SGB III[10].

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. Dezember 2021 – 10 AZR 362/19

  1. st. Rspr., zB BAG 16.06.2021 – 10 AZR 217/19, Rn. 12; 27.01.2021 – 10 AZR 138/19, Rn. 17[]
  2. BAG 15.01.2014 – 10 AZR 669/13, Rn. 16[]
  3. st. Rspr., zB BAG 8.09.2021 – 10 AZR 104/19, Rn. 14; 14.07.2021 – 10 AZR 135/19, Rn. 23[]
  4. st. Rspr., zB BAG 14.07.2021 – 10 AZR 135/19 – aaO; 16.09.2020 – 10 AZR 56/19, Rn. 44[]
  5. BAG 28.04.2021 – 10 AZR 144/19, Rn. 43; 13.10.2020 – 10 AZR 103/19, Rn. 26[]
  6. für die st. Rspr. BAG 28.04.2021 – 10 AZR 144/19, Rn. 46; 13.10.2020 – 10 AZR 103/19, Rn. 29[]
  7. BAG 28.04.2021 – 10 AZR 144/19, Rn. 47[]
  8. BAG 14.01.2004 – 10 AZR 182/03, zu II 4 b aa der Gründe[]
  9. BSG 15.02.2000 – B 11 AL 41/99 R[]
  10. BAG 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 23[]