Ein Betrieb des Baugewerbes im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 des Verfahrenstarifvertrages des Baugewerbes (VTV) 2009 kann bei gesellschafteridentischen GmbHs auch im Rahmen eines „bestehenden Zusammenschlusses“ im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 VTV 2009 erfolgen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts orientiert sich die Auslegung der in den Verfahrenstarifverträgen des Baugewerbes verwendeten Begriffe „Zusammenschluss“ und „Unternehmenszusammenschluss“ nicht an betriebsverfassungs- oder wettbewerbsrechtlichen Vorschriften, sondern an ihrer allgemeinen Bedeutung und am Zweck der jeweiligen Tarifnorm[1].
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts orientiert sich die Auslegung der in den Verfahrenstarifverträgen des Baugewerbes verwendeten Begriffe „Zusammenschluss“ und „Unternehmenszusammenschluss“ nicht an betriebsverfassungs- oder wettbewerbsrechtlichen Vorschriften, sondern an ihrer allgemeinen Bedeutung und am Zweck der jeweiligen Tarifnorm[1].
Der Begriff „Zusammenschluss“ steht für „Vereinigung“[2]. Wer sich mit jemandem zusammenschließt, geht diese Verbindung zu einem bestimmten Zweck ein[3]. Schließen sich wirtschaftlich selbständige Betriebe oder Unternehmen zusammen, verfolgen sie regelmäßig das Ziel, sich durch die Koordination ihrer Geschäftstätigkeit und des Einsatzes ihrer Arbeitnehmer Vorteile am Markt zu verschaffen.
Der Zusatz „unbeschadet der gewählten Rechtsform“ in § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 VTV 2009 verdeutlicht, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff „Zusammenschluss“ bewusst sehr weit und untechnisch gewählt haben, um möglichst alle denkbaren Formen einer Kooperation zu erfassen. Der Zusammenschluss muss insbesondere nicht vertraglich fixiert und abgesichert sein[4].
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg[5] setzt § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes nicht voraus, dass es sich bei den zusammengeschlossenen Betrieben jeweils um „Rechtsträger mit Unternehmensqualität“ handelt. Ebenso wenig kommt es auf eine personen- oder gesellschaftsrechtliche Verbindung oder auf eine bestimmte Form des Zusammenschlusses der Betriebe an[6].
Der Blick auf die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen in § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes zeigt, dass die Regelung den Zweck verfolgt, den tarifvertraglichen Schutz auf die Arbeitnehmer zu erstrecken, die ihre Arbeitskraft (mittelbar) einem ihrem Betrieb angeschlossenen Baubetrieb in nicht nur unmaßgeblichem Umfang zur Verfügung stellen[7]. Die Regelung soll sicherstellen, dass ein Betrieb dem betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes auch dann unterfällt, wenn die dort beschäftigten Arbeitnehmer in nicht unerheblichem Umfang nichtbauliche Tätigkeiten für einen angeschlossenen Baubetrieb versehen, die der Baubetrieb sonst mit eigenen Arbeitnehmern erledigen müsste. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, ob der angeschlossene Baubetrieb die „nichtbaulichen“ Tätigkeiten auf den anderen Betrieb in der Absicht übertragen hat, die damit befassten Arbeitnehmer dem Schutz der Verfahrenstarifverträge zu entziehen[8].
Danach bestand im hier entschiedenen Fall zwischen der Arbeitgeberin und der B GmbH ein Zusammenschluss iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 VTV 2009. Bei der B GmbH handelte es sich um einen „angeschlossenen Baubetrieb“ im Tarifsinn.
Die Arbeitgeberin und die B GmbH gehörten im Klagezeitraum zu einer größeren Wirtschaftseinheit. Das belegt ihre Zugehörigkeit zu der Unternehmensgruppe E. Der Internet-Auftritt der Unternehmensgruppe E dokumentiert, dass die vier Unternehmen die strategische Absicht verfolgten, als „ein Unternehmen“ mit ihren Arbeitnehmern Leistungen auf mehreren verwandten Geschäftsfeldern anzubieten, um mehr Marktmacht zu erlangen. Herr P vertrat die Arbeitgeberin im streitigen Zeitraum als Geschäftsführer. Er konnte auf die B GmbH als ihr Alleingesellschafter nach §§ 45 ff. GmbHG Einfluss nehmen. Daher ist von einem „Zusammenschluss“ der Werkstatt der Arbeitgeberin mit dem Baubetrieb der B GmbH auszugehen.
Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin setzt ein Zusammenschluss iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 VTV 2009 nicht voraus, dass die Gesellschafter der verbundenen Unternehmen identisch sind. Auch „unmittelbare gesellschaftsrechtliche Verflechtungen“ sind nicht erforderlich. Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts, auf die sich die Arbeitgeberin beruft, betrafen die Auslegung von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13 und Nr. 32 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes, die – anders als § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 der Verfahrenstarifverträge – auf den Betrieb „eines beteiligten Gesellschafters“ abstellen[9].
Der Betrieb der Arbeitgeberin wird nach § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 VTV 2009 vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV 2009 erfasst, obwohl die Arbeitgeberin nicht von der B GmbH abgespalten wurde. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Tarifnorm verlangen, dass der angeschlossene Betrieb des Baugewerbes und der andere Betrieb vor dem Zusammenschluss ein einheitliches Unternehmen gebildet haben. Der betriebliche Geltungsbereich ist nach § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes für eine Werkstatt oder einen Bauhof eröffnet, wenn sie „in nicht unerheblichem Umfang[10]“ für den angeschlossenen Betrieb des Baugewerbes tätig sind. Solange dieses Volumen nicht erreicht ist, läuft ein Baubetrieb bei Gesellschafteridentität nicht Gefahr, einen Reparaturbetrieb zu „infizieren“, wenn er ihn beauftragt.
Die Einlassung der Arbeitgeberin, sie vermiete keine Maschinen an die B GmbH und halte auch keine Maschinen für sie vor, schließt den betrieblichen Geltungsbereich des VTV 2009 nicht aus. Die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts, auf die sich die Arbeitgeberin beruft, betreffen die Frage, unter welchen Umständen ein Betrieb im Rahmen eines Zusammenschlusses den Bauhof für den angeschlossenen Baubetrieb betreibt[11]. Die Arbeitgeberin berücksichtigt nicht, dass nach § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 der Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes nicht nur Bauhöfe, sondern auch Werkstätten Betriebe des Baugewerbes sein können.
Die nach den allgemeinen Regeln für die Ausnahme darlegungs- und beweisbelastete Arbeitgeberin hat nicht vorgetragen, dass ihr Betrieb von einem spezielleren Tarifvertrag erfasst wird.
Die Arbeitgeberin kann sich nicht mit Erfolg auf die Bescheinigung vom 22.11.2006 berufen. Die ZVK hat sich darin nicht für den Klagezeitraum geäußert. Die Aufhebung der Bescheide der Bundesagentur für Arbeit über die Winterbeschäftigungs-Umlage lässt ebenfalls nicht den Schluss zu, dass für die Arbeitgeberin im streitgegenständlichen Zeitraum keine Beitragspflicht nach dem VTV 2009 besteht[12].
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. April 2021 – 10 AZR 404/18
- vgl. BAG 18.10.2006 – 10 AZR 657/05, Rn.19 ff. [zu § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13 der Verfahrenstarifverträge vom 12.11.1986 und 20.12.1999]; 13.07.2005 – 10 AZR 466/04, zu II 2 a aa der Gründe [zu § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 der Verfahrenstarifverträge in den Fassungen vom 01.12.2000, 15.05.2001 und 14.12.2001]; 31.07.2002 – 10 AZR 625/01, zu II 2 der Gründe [zu § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 4 des VTV vom 20.12.1999][↩][↩]
- WAHRIG Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. Stichwort „Zusammenschluss“[↩]
- vgl. Duden Das Bedeutungswörterbuch 5. Aufl. Stichwort „zusammenschließen“[↩]
- BAG 31.07.2002 – 10 AZR 625/01, zu II 2 der Gründe[↩]
- LAG Berlin-Brandenburg 10.07.2018 – 11 Sa 197/16[↩]
- vgl. BAG 18.10.2006 – 10 AZR 657/05, Rn.20 [zu § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13 der Verfahrenstarifverträge vom 12.11.1986 und 20.12.1999]; 13.07.2005 – 10 AZR 466/04, zu II 2 a aa der Gründe [zu § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 der Verfahrenstarifverträge in den Fassungen vom 01.12.2000, 15.05.2001 und 14.12.2001][↩]
- vgl. BAG 31.07.2002 – 10 AZR 625/01, zu II 1 der Gründe[↩]
- vgl. BAG 18.10.2006 – 10 AZR 657/05, Rn.20; 13.07.2005 – 10 AZR 466/04, zu II 2 a aa der Gründe[↩]
- vgl. BAG 18.10.2006 – 10 AZR 657/05, Rn. 23 [zu § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13 der Verfahrenstarifverträge vom 12.11.1986 und 20.12.1999]; 13.07.2005 – 10 AZR 466/04, zu II 2 a aa der Gründe [zu § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 32 der Verfahrenstarifverträge in den Fassungen vom 01.12.2000, 15.05.2001 und 14.12.2001][↩]
- zumindest zu einem Viertel der betrieblichen Arbeitszeit[↩]
- BAG 31.07.2002 – 10 AZR 625/01, zu II 3 der Gründe[↩]
- vgl. BAG 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 23[↩]