Die Bäckerei in der Vorkassenzone eines Supermarkts – und die Umsatzsteuer

Verkauft eine Bäckerei in Filialen, die sich teilweise in „Vorkassenzonen“ eines Supermarkts befinden, Speisen zum Verzehr vor Ort auf Mehrweggeschirr und mit Mehrwegbesteck, das es nach dem Verzehr der Speisen zurücknimmt und reinigt, führt sie damit (ebenso wie ein Partyservice) sonstige Leistungen aus, die vor Inkrafttreten des § 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG dem Regelsteuersatz unterlagen. Art. 6 Abs. 1 Sätze 1 und 3 MwSt-DVO sind auch in Besteuerungszeiträumen vor ihrem Inkrafttreten anwendbar, weil sie rückwirkend Begriffe klären, die sich bereits zuvor in der Richtlinie 77/388/EWG bzw. der Richtlinie 2006/112/EG befunden haben.

Die Bäckerei in der Vorkassenzone eines Supermarkts – und die Umsatzsteuer

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 v.H. für „die Lieferungen“ der in der Anlage 2 des UStG bezeichneten Gegenstände.

Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Demgegenüber sind sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 UStG Leistungen, die keine Lieferungen sind.

Nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG in der im Streitjahr noch geltenden Fassung war die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige Leistung. Speisen und Getränke wurden gemäß § 3 Abs. 9 Satz 5 UStG zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden. Soweit der Wortlaut des § 3 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG nicht richtlinienkonform gewesen sein sollte, waren im Wege richtlinienkonformer Auslegung die unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs maßgebend und wäre andernfalls eine Berufung auf das günstigere Unionsrecht möglich gewesen[1].

§ 3 Abs. 1 und 9 UStG beruhten im Streitjahr unionsrechtlich auf den Art. 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern; nunmehr Art. 14 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, wonach als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen; als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands ist.

Zudem ist im Streitfall Art. 6 Abs. 1 MwSt-DVO mit zu berücksichtigen:

Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MwSt-DVO gilt die Abgabe zubereiteter oder nicht zubereiteter Speisen und/oder von Getränken, zusammen mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen, die deren sofortigen Verzehr ermöglichen, als (Restaurant- und Verpflegungs-)Dienstleistung. Restaurantdienstleistungen sind die Erbringung solcher Dienstleistungen in den Räumlichkeiten des Dienstleistungserbringers (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 MwSt-DVO).

Die Abgabe von Speisen und/oder Getränken ist dabei nur eine Komponente der gesamten Leistung, bei der der Dienstleistungsanteil überwiegt (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 MwSt-DVO). Die Abgabe von zubereiteten oder nicht zubereiteten Speisen und/oder Getränken mit oder ohne Beförderung, jedoch ohne andere unterstützende Dienstleistungen, gilt nicht als Restaurant- oder Verpflegungsdienstleistung (Art. 6 Abs. 2 MwSt-DVO).

65 MwSt-DVO ordnet zwar, worauf die Bäckerei zu Recht hinweist, die Anwendung dieser Regelungen erst ab dem 01.07.2011 an. Bestimmungen der MwSt-DVO können aber trotzdem -zur Vermeidung einer unzulässigen Rückwirkung allerdings auch nur insoweit- in Vorjahren zur Auslegung herangezogen werden, als sie -anders als möglicherweise Art. 6 Abs. 1 Satz 2 MwSt-DVO oder die Fiktion des Art. 6 Abs. 2 MwSt-DVO[2]– rückwirkend Begriffe klären, die sich bereits zuvor in der Richtlinie 77/388/EWG befunden haben[3]. Dies ist jedenfalls bei Art. 6 Abs. 1 Sätze 1 und 3 MwSt-DVO der Fall; denn sie präzisieren in Bezug auf die unterstützenden Dienstleistungen, die den sofortigen Verzehr von Speisen ermöglichen, die Grundsätze der vorangegangenen Rechtsprechung des EuGH[4].

Bei der Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen beim Verzehr von Speisen an Ort und Stelle ist von folgenden Rechtsgrundsätzen der Rechtsprechung des EuGH auszugehen, denen der Bundesfinanzhof folgt[5], und die auch das Finanzgericht, soweit sie ihm bekannt sein konnten, seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat:

Ob bestimmte Umsätze Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen sind, richtet sich nach ihrem Wesen; dieses ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln[6]. Dazu ist nicht nur die quantitative, sondern auch die qualitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen der Lieferung zu bestimmen[7].

Da die Vermarktung eines Gegenstands stets mit einer minimalen Dienstleistung (z.B. Darbieten der Waren in Regalen, Ausstellen einer Rechnung) verbunden ist, sind bei der Beurteilung des Anteils der Dienstleistungen an der Gesamtheit eines komplexen Geschäfts nur diejenigen Dienstleistungen zu berücksichtigen, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung eines Gegenstands verbunden sind[8].

Restaurationsumsätze sind durch eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die Dienstleistungen bei Weitem überwiegen; etwas anderes gilt hingegen, wenn sich der Umsatz auf Nahrungsmittel zum Mitnehmen bezieht und daneben keine Dienstleistungen erbracht werden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen[9].

Die Abgabe von Nahrungsmitteln und Getränken zum sofortigen Verzehr ist das Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen dieser Speisen, wobei dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt wird, die u.a. einen Speisesaal als auch das Mobiliar und das Geschirr umfasst[10]. Wenn die Abgabe von Nahrungsmitteln nur mit der Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen (d.h. ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, die nur einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im Freien ermöglichen) einhergeht und dadurch nur ein geringfügiger personeller Einsatz erforderlich ist, stellen diese Elemente geringfügige Nebenleistungen dar, die am Vorliegen einer Lieferung nichts ändern können[11].

Die Tatsache, dass die Abgabe zubereiteter Nahrungsmittel ihr Kochen, Backen, Braten oder Aufwärmen voraussetzt, was die Erbringung von Dienstleistungen darstellt, ist im Rahmen der Gesamtbeurteilung des betreffenden Umsatzes zum Zweck seiner Einstufung als Lieferung von Gegenständen oder als Dienstleistung zu berücksichtigen. Wenn sich die Zubereitung des warmen Endprodukts im Wesentlichen auf einfache, standardisierte Handlungen beschränkt, die in den meisten Fällen nicht auf Bestellung eines bestimmten Kunden, sondern entsprechend der allgemein vorhersehbaren Nachfrage ständig oder in Abständen vorgenommen werden, stellt sie nicht den überwiegenden Bestandteil des betreffenden Umsatzes dar und kann allein diesem nicht den Charakter einer Dienstleistung verleihen[12].

Im Lichte der unter d und e wiedergegebenen Rechtsprechung ergibt sich aus Art. 6 MwSt-DVO, dass die Kriterien, die für die Beurteilung der Frage, ob die mit der Abgabe von Speisen einhergehenden Dienstleistungen als „ausreichende unterstützende Dienstleistungen“ angesehen werden können, entscheidend sind, um die dem Verbraucher angebotene Leistung als Dienstleistung anzusehen[13]. Der Art der Zubereitung von Speisen oder ihrer Lieferung kommt keine entscheidende Bedeutung bei, sondern der Bereitstellung von unterstützenden Dienstleistungen, die mit der Abgabe von zubereiteten Speisen einhergehen, wobei diese Dienstleistungen

  • ausreichend sein müssen, um den sofortigen Verzehr dieser Speisen zu gewährleisten, sowie
  • im Verhältnis zu deren Abgabe überwiegen müssen[14].

Zu berücksichtigen sind u.a. Aspekte wie die Anwesenheit von Kellnern, ein Service (der insbesondere in der Weiterleitung der Bestellungen an die Küche, in der späteren Präsentation der Speisen und deren Darreichung an den Kunden am Tisch besteht), geschlossene und temperierte Räume speziell für den Verzehr der Nahrungsmittel oder auch Garderoben und Toiletten sowie die Bereitstellung von Geschirr, Mobiliar oder Gedeck[15].

Dienstleistungen, die ein anderer Unternehmer (Dritter) unmittelbar an den Kunden erbringt, sind nicht zu berücksichtigen[16]. Eine Berücksichtigung von Verzehrvorrichtungen eines Dritten kommt jedoch dann in Betracht, wenn dem leistenden Unternehmer der Art nach ein Mitbenutzungsrecht an diesen Verzehrvorrichtungen zugestanden worden ist[17].

An all diesen Grundsätzen ist auch nach Ergehen des EuGH, Urteils Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach[18] festzuhalten, weil in solchen Fällen die unterstützenden Dienstleistungen des Unternehmers ausreichen, um den sofortigen Verzehr der Speisen durch die Kunden zu gewährleisten, sowie im Verhältnis zu deren Abgabe überwiegen.

Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Bundesfinanzhof z.B. entschieden, dass die Abgabe von standardisiert zubereiteten Speisen durch einen Imbissstand zum Verzehr an einem Tisch mit Sitzgelegenheiten zu einem dem Regelsteuersatz unterliegenden Restaurationsumsatz führt; die Schwelle zum Restaurationsumsatz ist überschritten, weil die Bereitstellung von Geschirr, Besteck oder Mobiliar (Tische mit Sitzgelegenheit) -im Unterschied zur bloßen Bereitstellung einer behelfsmäßigen Infrastruktur im Falle von Imbissständen, Imbisswagen oder Kinos- einen gewissen personellen Einsatz erfordert, um das gestellte Material herbeizuschaffen, zurückzunehmen und gegebenenfalls zu reinigen[19]. Der Inhaber eines Grillstands in einem Biergarten erbringt dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistungen, wenn er an Biergartenbesucher gegen Entgelt Speisen abgibt und aufgrund des Pachtvertrags mit dem Betreiber des Biergartens berechtigt ist, seinen Kunden die Infrastruktur des Biergartens zur Verfügung zu stellen[20]. Auch erbringt der Inhaber einer Fischbraterei in einem Biergarten an die Biergartenbesucher dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistungen (Restaurationsumsätze), wenn er gegen Entgelt gegrillte Fische abgibt, er aufgrund von ausdrücklichen oder konkludenten Vereinbarungen mit dem Eigentümer oder Betreiber des Biergartens berechtigt ist, seinen Kunden die Infrastruktur des Biergartens zur Verfügung zu stellen, und dies auch tatsächlich so geschieht[21].

Dagegen liegt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs bei der Abgabe von Speisen zum Mitnehmen eine (ermäßigt zu besteuernde) Lieferung vor[22]. Dies hat der EuGH nunmehr erneut bestätigt[23], sodass auch daran festzuhalten ist.

Nach diesen Grundsätzen ist es für den Bundesfinanzhof im hier entschiedenen Streitfall aufgrund der tatsächlichen Feststellungen sowie der -entgegen der Auffassung der Revision- tatsächlichen Würdigung des Sachverhalts durch das Finanzgericht Münster[24] revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, auf die Umsätze der Bäckerei aus dem Verkauf von Backwaren und Fast-Food zum Verzehr vor Ort in den mit Sitzgelegenheiten ausgestatteten Filialen der Bäckerei den Regelsteuersatz anzuwenden.

Das Finanzgericht hat angenommen, bei einer Gesamtbetrachtung der durch die Bäckerei im Falle des Verzehrs vor Ort erbrachten Leistungselemente stünden die Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Speisen im Vordergrund. Die Bäckerei habe den Kunden nicht nur Backwaren und Fast-Food verkauft, sondern diesen gegenüber auch zusätzliche Dienstleistungen erbracht, indem sie neben der Zubereitung der standardisierten Produkte zum Verzehr der Speisen Tische und Sitzmöglichkeiten sowie Tassen, Geschirr und Besteck zur Verfügung gestellt habe und sowohl das Mobiliar als auch das Geschirr gereinigt habe. Das in und um die angemieteten Filialen durch die Bäckerei aufgestellte Mobiliar sei sowohl aus objektiver Empfängersicht als auch nach den objektiven Gegebenheiten ausschließlich zur Nutzung durch die Kunden der Bäckerei bestimmt gewesen. Aufgrund dieser durch die Bäckerei erbrachten Dienstleistungen (Verzehrvorrichtungen, Serviceleistungen, Geschirrstellung) trete der Dienstleistungscharakter in den Vordergrund, obwohl in einigen Filialen der Bäckerei keine Garderoben und Toiletten vorgehalten worden seien und überdies kein Kellnerservice (im Sinne einer Bedienung am Sitzplatz) bestanden und es an einer völligen räumlichen Trennung der Vorkassenfilialen von den Vorkassenbereichen der Lebensmittelmärkte, in denen sie untergebracht waren, gefehlt habe. Durch die Gestellung von Tischen und Stühlen, Geschirr und teilweise auch Dekoration sowie die Erbringung von Reinigungsleistungen im Hinblick auf diese Gegenstände sei die Gesamtleistung der Bäckerei aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers dennoch als Restaurationsleistung und damit Dienstleistung zu qualifizieren. Der personelle Einsatz könne (insbesondere im Vergleich zu dem erforderlichen personellen Einsatz im Falle eines Außer-Haus-Verkaufes) nicht mehr als nur geringfügig angesehen werden. Denn die Reinigung des Geschirrs, der Tische und Stühle sowie das Aufbringen der Dekoration gehe deutlich über die Herstellung, Zubereitung und den Verkauf der zum Verzehr vor Ort bestimmten Backwaren hinaus und binde Arbeitskraft. Dass die Kunden der Bäckerei deren Angestellten im Regelfall kein Trinkgeld gewährt hätten, führe zu keinem anderen Ergebnis der Gesamtabwägung; denn die Gewährung von Trinkgeld sei keine konstitutive Voraussetzung für die Annahme einer Dienstleistung. Das gefundene Ergebnis entspreche außerdem dem Grundsatz, dass Bestimmungen, die Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz darstellen, eng auszulegen sind.

Diese Würdigung ist bei Anwendung der genannten Grundsätze möglich und verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze; sie bindet daher den Bundesfinanzhof (§ 118 Abs. 2 FGO).

Die Einwendungen der Bäckerei führen zu keiner anderen Beurteilung.

Soweit die Einwendungen der Bäckerei größtenteils darin bestehen, dass sie ihre abweichende Würdigung an die Stelle der Würdigung des Finanzgericht setzt, berücksichtigt sie nicht, dass die tatsächliche Würdigung für den Bundesfinanzhof als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 FGO auch dann bindend ist, wenn die Wertung des Finanzgericht nicht zwingend, aber möglich ist[25].

Bei ihrem Einwand, dass die Bereitstellung von Mobiliar und Geschirr nicht ausreiche und keine sonstige Leistung vorliegen könne, soweit Filialen nicht über einen Speisesaal mit Nebenräumen (Garderobe, Toilette etc.) verfügten, beachtet die Revision nicht die unter II.B.02.g genannte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs; die von ihr, der Bäckerei, für erforderlich gehaltenen Ausstattungsmerkmale sind danach für die Annahme eines Restaurationsumsatzes nicht erforderlich[26].

Soweit die Bäckerei geltend macht, die Filialen hätten einen imbissartigen Charakter und nur in 13 Fällen geschlossene Räume, sodass keine Umsätze ausgeführt würden, die den Verzehr in einem „ansprechenden Rahmen“ wie in einem Restaurant gestatteten, widerspricht auch dies der unter II.B.02.g genannten Rechtsprechung, von der abzurücken aus Sicht des Bundesfinanzhofs kein Anlass besteht. Ein imbissartiger Charakter und das Fehlen geschlossener Räume widerspricht der Anwendung des Regelsteuersatzes schon deshalb nicht, weil die Umsätze eines Imbissstands, der seinen Kunden standardisiert zubereitete Speisen zum Verzehr an einem Tisch mit Sitzgelegenheiten verkauft, dem Regelsteuersatz unterliegen[27]. Gleiches gilt für Umsätze in einem Biergarten[28].

Mit ihrem Einwand, die Kosten der Umsätze würden nicht von der Dienstleistung geprägt, sondern vom Einkaufspreis, beachtet die Revision nicht, dass nach den Ausführungen unter II.B.02.a nicht nur die quantitative, sondern auch die qualitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Gegenständen zu bestimmen ist. Welchen prozentualen Anteil an dem von dem jeweiligen Kunden zu zahlenden Gesamtpreis die zur Zubereitung der Speisen eingesetzten Lebensmittel hatten, was das Finanzgericht nicht festgestellt hat, ist für die Gesamtwürdigung nicht von entscheidender Bedeutung[29].

Ebenso wenig greift der Einwand der Bäckerei, das Finanzgericht negiere die gefestigte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Ausschließlichkeitserfordernis der Sitzmöglichkeiten und die hierzu ergangenen Vermutungsregelungen. Das Finanzgericht hat vielmehr diese Rechtsprechung zutreffend auf den Streitfall angewendet.

Zwar ist das bloße Vorhandensein von Mobiliar, das nicht ausschließlich dazu bestimmt ist, den Verzehr von Lebensmitteln möglicherweise zu erleichtern, bei der Prüfung des anzuwendenden Steuersatzes nicht als Dienstleistungselement zu berücksichtigen (z.B. sofern möblierte Bereiche zugleich auch als Warteraum und Treffpunkt dienen)[30].

Das Finanzgericht Münster hat diese Rechtsprechung berücksichtigt; es ist allerdings im Rahmen der von ihm vorgenommenen Gesamtwürdigung (insbesondere aufgrund der räumlichen Nähe, der Farbe des Mobiliars, der teilweise abweichenden Bodenfarbe und der teilweise von der Bäckerei aufgestellten Dekoration) im Streitfall zu dem -aus Sicht des Bundesfinanzhofs nicht nur möglichen, sondern zutreffenden- Ergebnis gelangt, dass das in und um die Filialen aufgestellte Mobiliar der Bäckerei sowohl aus objektiver Empfängersicht als auch nach den objektiven Gegebenheiten ausschließlich zur Nutzung durch die Kunden der Bäckerei bestimmt war. Dies gilt -entgegen der Auffassung der Bäckerei im Schreiben vom 20.08.2021- auch für die Filialen, in denen die Bodenfarbe nicht abweichend war und in denen keine Dekoration aufgestellt war.

Im Übrigen berücksichtigt die Bäckerei nicht, dass sie den Kunden Geschirr und Besteck zur Verfügung gestellt, dieses zurückgenommen und gereinigt hat. Soweit bei einem Partyservice mit Standardspeisen schon die Bereitstellung und Rücknahme von Geschirr und Besteck sowie dessen Reinigung ausreicht, um den Regelsteuersatz zur Anwendung zu bringen[31], gilt dies aus Gründen der Wahrung des Grundsatzes der Neutralität erst recht für die Bäckerei, die mehr Leistungen als ein (zum Regelsteuersatz besteuerter) Partyservice erbringt. Dass die Bereitstellung von Geschirr und Besteck durch die Bäckerei teilweise in „Vorkassenzonen“ (und nicht zu Hause beim Kunden) erfolgt ist (und die Bäckerei daneben weitere Leistungen erbracht hat), führt zu keiner für sie, die Bäckerei, günstigeren umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung.

Auf die Frage, wie Umsätze in einer sog. „Gastronomie-Mall“ mit gemeinschaftlich genutztem Mobiliar eines Dritten zu beurteilen sind[32], kommt es daher im Streitfall nicht an.

Im Übrigen wurde im Streitfall auf den Verkauf von Speisen zum Mitnehmen der ermäßigte Steuersatz angewendet. Auch war die Bäckerei nach der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs verpflichtet, ihre Umsätze gesondert aufzuzeichnen[33].

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15. September 2021 – XI R 12/21

  1. vgl. BFH, Urteile vom 10.08.2006 – V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480, Rz 35; vom 26.10.2006 – V R 58/04, – V R 59/04, BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487, Rz 54; vom 30.06.2011 – V R 18/10, BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246, Rz 28; BFH, Urteil vom 08.06.2011 – XI R 33/08, BFH/NV 2011, 1927, Rz 36; s.a. BR-Drs. 544/07, S. 99 f.: waren „richtlinienkonform auszulegen“, „Aufhebung klarstellend“[]
  2. vgl. dazu auch BMF, Schreiben vom 20.03.2013 – IV D 2-S 7100/07/10050-06, BStBl I 2013, 444, unter I.[]
  3. vgl. allgemein dazu z.B. EuGH, Urteile Leichenich vom 15.11.2012 – C-532/11, EU:C:2012:720, BStBl II 2013, 891, Rz 32; Welmory vom 16.10.2014 – C-605/12, EU:C:2014:2298, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 2014, 937, Rz 45 f.; BFH, Urteil vom 01.06.2016 – XI R 29/14, BFHE 254, 183, BStBl II 2016, 905, Rz 43, m.w.N.; Brandis, UR 2020, 571, 574[]
  4. zur Präzisierung der bisherigen Auslegung des Art. 6 der Richtlinie 77/388/EWG durch Art. 6 MwSt-DVO s. ausführlich EuGH, Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 55 ff.; BFH, Urteil vom 03.08.2017 – V R 15/17, BFHE 258, 566, Rz 18; Weber, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2020, 92, 93[]
  5. s. z.B. BFH, Urteile vom 08.06.2011 – XI R 37/08, BFHE 234, 443, BStBl II 2013, 238; vom 23.11.2011 – XI R 6/08, BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 253; vom 28.05.2013 – XI R 28/11, BFH/NV 2013, 1950; BFH, Urteile vom 30.06.2011 – V R 35/08, BFHE 234, 491, BStBl II 2013, 244; vom 30.06.2011 – V R 3/07, BFHE 234, 484, BStBl II 2013, 241; in BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246; vom 22.12.2011 – V R 47/10, BFH/NV 2012, 812; vom 11.04.2013 – V R 28/12, BFH/NV 2013, 1638; vom 27.02.2014 – V R 14/13, BFHE 245, 272, BStBl II 2014, 869; vom 02.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158, BStBl II 2017, 553; in BFHE 258, 566; vom 03.08.2017 – V R 61/16, BFH/NV 2018, 63; BFH, Beschlüsse vom 29.08.2013 – XI B 79/12, BFH/NV 2013, 1953; vom 24.07.2017 – XI B 37/17, BFH/NV 2017, 1635; BFH, Beschluss vom 14.03.2018 – V B 142/17, BFH/NV 2018, 732[]
  6. EuGH, Urteil Faaborg-Gelting Linien vom 02.05.1996 – C-231/94, EU:C:1996:184, BStBl II 1998, 282, Rz 12[]
  7. vgl. EuGH, Urteile Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 61 und 62; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 48 und 49[]
  8. vgl. EuGH, Urteile Hermann vom 10.03.2005 – C-491/03, EU:C:2005:157, Rz 22; Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 63; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 50[]
  9. vgl. EuGH, Urteile Faaborg-Gelting Linien, EU:C:1996:184, BStBl II 1998, 282, Rz 14; Bog, EU:C:2011:135, Rz 64; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 51[]
  10. vgl. EuGH, Urteile Faaborg-Gelting Linien, EU:C:1996:184, BStBl II 1998, 282, Rz 13; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 52[]
  11. vgl. EuGH, Urteile Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 70; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 53[]
  12. vgl. EuGH, Urteile Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 67 und 68; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 54[]
  13. vgl. EuGH, Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 59[]
  14. vgl. EuGH, Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 58[]
  15. vgl. EuGH, Urteile Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 69; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 60[]
  16. vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 2011, 1927, Rz 35; BFH, Urteile in BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246, Rz 32; in BFH/NV 2013, 1638, Rz 26; in BFHE 258, 566, Rz 17[]
  17. vgl. BFH, Urteil in BFHE 258, 566, Rz 21[]
  18. EU:C:2021:314[]
  19. vgl. BFH, Urteile in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487; in BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246, Rz 37 und 38; in BFHE 258, 566, Rz 16 f.; s.a. BFH, Beschluss in BFH/NV 2018, 732[]
  20. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2017, 1635, Leitsatz[]
  21. vgl. BFH, Beschluss vom 13.03.2019 – XI B 89/18, BFH/NV 2019, 945, Leitsatz[]
  22. vgl. z.B. EuGH, Urteil Faaborg-Gelting Linien, EU:C:1996:184, BStBl II 1998, 282, Rz 13 f.; BFH, Urteil in BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487, Rz 49 ff.[]
  23. vgl. EuGH, Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 62[]
  24. FG Münster, Urteil vom 03.09.2019 – 15 K 2553/16 U, EFG 2019, 1793[]
  25. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile vom 13.07.2016 – XI R 19/14, BFH/NV 2017, 30, Rz 19; vom 26.06.2019 – XI R 5/18, BFHE 266, 67, Rz 29; vom 11.03.2020 – XI R 38/18, BFHE 268, 376, Rz 57, jeweils m.w.N.[]
  26. vgl. z.B. BFH, Beschluss in BFH/NV 2018, 732, Rz 6[]
  27. vgl. BFH, Urteil in BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246[]
  28. vgl. BFH, Beschlüsse in BFH/NV 2017, 1635; in BFH/NV 2019, 945[]
  29. vgl. BFH, Urteil in BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 253, Rz 41 f.[]
  30. vgl. EuGH, Urteil Bog, EU:C:2011:135, BStBl II 2013, 256, Rz 73; BFH, Urteile in BFHE 234, 484, BStBl II 2013, 241, Rz 26; in BFH/NV 2018, 63, Rz 16 f.[]
  31. vgl. BFH, Urteil in BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 253, Rz 43; BFH, Urteile in BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480; vom 18.12.2008 – V R 55/06, BFHE 223, 539, unter II. 6.; vom 12.10.2011 – V R 66/09, BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250, Rz 20; vom 10.06.2011 – V B 74/09, BFH/NV 2011, 1547, Rz 5; in BFH/NV 2013, 1638, Rz 17; zur Reinigung von Geschirr und Besteck s.a. BFH, Urteil in BFH/NV 2013, 1950, Rz 30[]
  32. vgl. BFH, Urteil vom 26.08.2021 – V R 42/20, DStR 2021, 2785; vorgehend FG Düsseldorf, Urteil vom 02.09.2019 – 5 K 404/14 U, EFG 2021, 1062[]
  33. vgl. BFH, Urteil vom 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921; BFH, Beschluss vom 20.02.2014 – XI B 85/13, BFH/NV 2014, 828; EuGH, Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 65[]