Bauträgerfälle – und die Ablaufhemmung beim Bauleistenden

Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 14 AO setzt voraus, dass der Erstattungsanspruch vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden ist[1]. In den sog. Bauträgerfällen führt ein Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers (Bauträger) nicht zu einer Ablaufhemmung für die Steuerfestsetzung beim Bauleistenden, wenn im Zeitpunkt der Festsetzung des Erstattungsanspruchs bereits Festsetzungsverjährung beim Bauleistenden eingetreten ist.

Bauträgerfälle – und die Ablaufhemmung beim Bauleistenden

Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Steuerpflichtige seine Jahressteuererklärung beim Finanzamt eingereicht hat.

Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte die klagende Tischlerei ihre Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr am 30.12.2010 beim Finanzamt eingereicht. Die Festsetzungsfrist begann daher mit Ablauf des Jahres 2010 und endete mit Ablauf des 31.12.2014. Im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Umsatzsteuer-Änderungsbescheids vom 26.03.2018 war die reguläre Festsetzungsfrist somit bereits seit mehreren Jahren abgelaufen.

Die Voraussetzungen für die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 14 AO, wonach die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht endet, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist (§ 228 AO), liegen nicht vor.

§ 171 AO hemmt nur den Ablauf einer offenen Festsetzungsfrist, kann diese aber nach einmal eingetretener Festsetzungsverjährung nicht erneut anlaufen lassen. Denn nach § 47 AO erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis insbesondere durch Verjährung (§§ 169 bis 171, §§ 228 bis 232 AO). Das Erlöschen ist endgültig, sodass ein erloschener Anspruch nicht wieder aufleben kann. Ereignisse, die eine Hemmung der Verjährung bewirken könnten, gehen daher nach Eintritt der Festsetzungsverjährung ins Leere. Die verjährungshemmenden Tatbestände des § 171 AO schieben den Eintritt der Verjährung über den regulären Zeitpunkt hinaus[2], eröffnen aber nicht eine einmal abgelaufene Festsetzungsfrist erneut[3]. Die Vorschrift enthält somit keine Rechtsgrundlage für ein erneutes Anlaufen der Festsetzungsfrist[4].

Auch bei Anwendung von § 171 Abs. 14 AO kommt es somit -neben dem Vorliegen eines mit dem Steueranspruch „zusammenhängenden Erstattungsanspruchs“- darauf an, dass dieser Erstattungsanspruch bereits vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden ist[5].

Der Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO setzt u.a. voraus, dass eine Steuer oder steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist oder der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt. Für die Frage, ob ein Rechtsgrund für eine Steuerzahlung besteht, ist § 171 Abs. 14 AO nach der Rechtsprechung des VIII. und des II. Bundesfinanzhofes des Bundesfinanzhofs nicht im Sinne der sog. materiellen Rechtsgrundtheorie, sondern der formellen Rechtsgrundtheorie auszulegen. Maßgeblich ist demnach, dass es für die Zahlung des Steuerpflichtigen an einem formalen Rechtsgrund in Gestalt eines wirksamen Steuerbescheids fehlt[6]. Der BFH hat hierfür insbesondere die Gesetzesbegründung[7] angeführt, nach der gerade eine Zahlung, die zwar einem materiellen Steueranspruch entspricht, jedoch auf einen unwirksam bekanntgegebenen Steuerbescheid erfolgt ist, als rechtsgrundlose Zahlung angesehen wurde. Der Bundesfinanzhof schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Ohne Erfolg macht das Finanzamt demgegenüber geltend, der Erstattungsanspruch entstehe nach den BFH, Urteilen in BFHE 179, 556, BStBl II 1997, 112 sowie in BFHE 184, 111, BStBl II 1997, 796 materiell-rechtlich bereits mit der Zahlung der Steuer durch den Leistungsempfänger, sodass die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt des Antrags der Leistungsempfängerin auf Rückerstattung noch nicht abgelaufen sei. Das BFH, Urteil in BFHE 179, 556, BStBl II 1997, 112 betrifft nicht die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Kontext des § 171 Abs. 14 AO und das BFH, Urteil in BFHE 184, 111, BStBl II 1997, 796 lässt es ausweislich seines Leitsatzes ausdrücklich offen, ob hinsichtlich des Entstehens von Steuererstattungsansprüchen der materiellen oder der formellen Rechtsgrundtheorie zu folgen ist.

Im Streitfall ist danach eine Hemmung der Verjährung durch den Erstattungsanspruch der Leistungsempfängerin (Firma X) nach § 171 Abs. 14 AO nicht eingetreten. Denn der Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch gegenüber der Firma – X als Leistungsempfängerin entstand erst nach Ablauf der für die Tischlerei geltenden Festsetzungsfrist.

Im vorliegenden Fall  beantragte die Leistungsempfängerin (Firma X) mit Schreiben vom 30.12.2014 die Erstattung der seinerzeit als Steuerschuldnerin zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer. Den Feststellungen des Finanzgericht ist zwar lediglich zu entnehmen, dass der Leistungsempfängerin (Firma X) die für die Errichtung der Treppenanlage gezahlte Umsatzsteuer erstattet wurde, nicht aber das Datum des den Erstattungsanspruch begründenden Umsatzsteuer-Änderungsbescheids für das Streitjahr. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Antragstellung am 30.12.2014 geht der Bundesfinanzhof jedoch davon aus, dass der entsprechende Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für das Streitjahr nicht mehr in 2014, sondern frühestens in 2015 ergangen ist.

Da der Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch der Leistungsempfängerin nach Maßgabe der formellen Rechtsgrundtheorie erst mit der Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2009 gegenüber der Firma – X frühestens in 2015 entstanden sein kann, ist eine Hemmung nach § 171 Abs. 14 AO ausgeschlossen. Denn die reguläre Festsetzungsverjährung trat bereits mit Ablauf des 31.12.2014 ein.

Im Hinblick darauf, dass die Revision des Finanzamtes bereits deswegen unbegründet ist, weil der Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch der Leistungsempfängerin erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist bei der Tischlerei entstanden ist, kann der Bundesfinanzhof die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage offenlassen, ob für eine Hemmung der Verjährung nach § 171 Abs. 14 AO bereits ein „sachlicher Zusammenhang“ genügt[8] oder -wie das Finanzgericht entschieden hat- darüber hinaus eine personelle Identität zwischen dem Steuersubjekt, dem der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO zusteht und demjenigen, gegen den sich der nach § 171 Abs. 14 AO festzusetzende Steueranspruch richtet, erforderlich ist.

Eine Befugnis des Finanzamtes zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2009 gegenüber der Tischlerei ergibt sich auch nicht aus anderen Rechtsnormen. § 27 Abs.19 UStG beinhaltet keine Ablaufhemmung für die Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem leistenden Unternehmer und die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur (fehlenden) Steuerschuldnerschaft von Bauträgern als Leistungsempfänger von Bauleistungen stellt kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar[9], das die Änderung eines Steuerbescheids rechtfertigt. Die Änderung der Steuerfestsetzung gegenüber der Leistungsempfängerin (Firma X) ist wegen fehlender Bindungswirkung auch kein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) für die Änderung der Steuerfestsetzung gegenüber der Tischlerei nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 27. Juli 2021 – V R 3/20

  1. Anschluss an BFH, Urteile vom 04.08.2020 – VIII R 39/18, BFHE 270, 81, sowie vom 25.11.2020 – II R 3/18, BFHE 272, 1[]
  2. BFH, Beschluss vom 14.09.2007 – VIII B 20/07, BFH/NV 2008, 25[]
  3. Drüen in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz 1[]
  4. BFH, Urteil vom 25.11.2020 – II R 3/18, BFHE 272, 1, Rz 37[]
  5. BFH, Urteil vom 04.08.2020 – VIII R 39/18, BFHE 270, 81, Rz 23, mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 10/1636, S. 44, sowie im Anschluss hieran auch BFH, Urteil in BFHE 272, 1, Leitsatz 2, Rz 37; vgl. auch Finanzgericht Schleswig-Holstein vom 03.08.2000 – V 788/98, EFG 2001, 56, sowie Finanzgericht Köln vom 02.04.2009 – 15 K 2546/07, EFG 2009, 1430[]
  6. BFH, Urteil in BFHE 270, 81, sowie im Anschluss BFH, Urteil in BFHE 272, 1, Rz 38, m.w.N.[]
  7. BT-Drs. 10/1636, S. 44[]
  8. Drüen in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz 105; Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz 242a; Paetsch in Gosch, AO § 171 Rz 194[]
  9. BFH, Beschluss vom 08.10.2019 – V R 15/18, BFHE 266, 28, Rz 29; FG Berlin-Brandenburg vom 28.03.2018 – 7 K 7243/16, EFG 2018, 989[]