Bauabzugsteuer – und die versehentliche Zahlung an den Unternehmer

Zahlt der Besteller nach versehentlich vollständiger Zahlung des Werklohns an den Unternehmer die Bauabzugsteuer an das Finanzamt, trifft den Unternehmer eine aus dem Vertragsverhältnis resultierende Nebenpflicht, diesen Betrag an den Besteller zu erstatten. Der Unternehmer kann wegen seines nach § 48a Abs. 2 EStG gegebenen, fälligen Anspruchs auf ordnungsgemäße Abrechnung und damit auf Vorlage der unterschriebenen dritten Ausfertigung über den Steuerabzug bei Bauleistungen gegen einen solchen Erstattungsanspruch ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB geltend machen.

Bauabzugsteuer – und die versehentliche Zahlung an den Unternehmer

Ein Unternehmer im Sinne des § 2 UStG oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist als Auftraggeber einer Bauleistung, die im Inland erbracht wird, nach § 48 Abs. 1, § 48d Abs. 1 Satz 1 EStG zu einem Abzug in Höhe von 15 % des Bruttobetrages der Gegenleistung und zur Abführung dieses Betrags an das für den Leistenden zuständige Finanzamt für Rechnung des Leistenden verpflichtet. Die Abzugspflicht besteht nicht, wenn die Gegenleistung im laufenden Kalenderjahr – vorbehaltlich der Sonderregelung des § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG – einen Mindestbetrag von 5.000 € nicht übersteigt oder der Leistende dem Leistungsempfänger eine Freistellungsbescheinigung im Sinne des § 48b Abs. 1 Satz 1 EStG vorlegt (§ 48 Abs. 2 Satz 1 EStG). Leistender ist grundsätzlich derjenige, der die Erbringung der Bauleistung schuldet.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet diese in § 48 Abs. 1 EStG geregelte Abzugsverpflichtung in Höhe des Abzugsbetrags für den Leistungsempfänger eine öffentlichrechtliche Zahlungsverpflichtung und Haftung gegenüber dem Finanzamt des Leistenden, die neben seine zivilrechtliche Leistungsverpflichtung gegenüber dem Leistenden zur Entrichtung des Werklohns gemäß § 631 Abs. 1 BGB tritt. Das zivilrechtliche Vertragsverhältnis wird durch die gesetzliche Abzugsverpflichtung abgabenrechtlich überlagert. Sofern der Leistungsempfänger seiner bestehenden Zahlungspflicht gegenüber dem Finanzamt des Leistenden zur Vermeidung einer Haftung nach § 48a Abs. 3 Satz 1 EStG genügt, erfüllt er in Höhe des Abzugsbetrags seine Pflicht zur Zahlung des Werklohns, indem er der ihm abgabenrechtlich auferlegten Abzugsverpflichtung gegenüber dem Finanzamt des Leistenden nachkommt.

Diese Rechtsprechung beantwortet nicht, welche Rechtsfolgen zivilrechtlich eintreten, wenn der Leistungsempfänger versehentlich den vollen Werklohn an den Leistenden auszahlt, ohne die gemäß § 48 Abs. 1 EStG vorgeschriebene Bauabzugsteuer in Höhe von 15 % des Bruttorechnungsbetrages abzuziehen, und er anschließend aufgrund der fortbestehenden steuerrechtlichen Anmeldungs- und Abführungspflicht nach § 48a Abs. 1 EStG und zur Vermeidung einer Haftung nach § 48a Abs. 3 Satz 1 EStG die Bauabzugsteuer für Rechnung des Leistenden an das Finanzamt abführt.

Der Leistende ist dem Leistungsempfänger in einem solchen Fall aufgrund eines vertraglichen Anspruchs zur Erstattung der Bauabzugsteuer verpflichtet.

Der Leistungsempfänger haftet dem Finanzamt gegenüber gemäß § 48a Abs. 3 Satz 1 EStG für die Bauabzugsteuer; er nimmt die Zahlung jedoch für Rechnung des Leistenden vor, § 48 Abs. 1 Satz 1 EStG. Eigentlicher – zumindest potenzieller – Steuerschuldner ist der Leistende, denn der Steuerabzug dient dazu, in bestimmtem Umfang die Einkommens- und Körperschaftsbesteuerung für den Gewinn des die Bauleistung erbringenden Unternehmers sowie die Besteuerung des Arbeitslohns der beim Erbringen der Bauleistung eingesetzten Arbeitnehmer zu sichern. Im Innenverhältnis ist daher der Leistende gegenüber dem Leistungsempfänger verpflichtet, den Abzugsbetrag alleine zu tragen. Der Leistungsempfänger ist nicht nur berechtigt, sondern gemäß § 48 Abs. 1 EStG sogar verpflichtet, von dem Werklohn des Leistenden 15 % einzubehalten, um seine im Außenverhältnis gegenüber dem Finanzamt bestehende steuerrechtliche Pflicht erfüllen zu können. Die steuerrechtliche Verpflichtung gemäß § 48 EStG und die Verpflichtung zur Zahlung des Werklohns beruhen letztlich beide darauf, dass der Leistungsempfänger mit dem Leistenden einen Bauvertrag abgeschlossen hat. Bei der Abrechnung der an den Auftragnehmer zu zahlenden Vergütung kann dementsprechend die von dem Auftraggeber auf die – potenzielle – Steuerschuld des Auftragnehmers erbrachte Leistung nicht außer Betracht bleiben. Eine Abrechnung ist abschließend erst möglich, wenn der Auftraggeber der steuerlichen Verpflichtung gemäß § 48 EStG nachgekommen ist. Hat er unter Berücksichtigung der an das Finanzamt gezahlten Bauabzugsteuer mehr als den dem Unternehmer zustehenden Werklohn bezahlt, steht ihm daher aus dem abgeschlossenen Bauvertrag ein Erstattungsanspruch in Höhe der Überzahlung zu. Im Falle einer versehentlichen vollständigen Zahlung des Werklohns trifft den Leistenden damit eine aus dem Vertragsverhältnis der Parteien resultierende Nebenpflicht, dem Leistungsempfänger den an das Finanzamt abgeführten Betrag zu erstatten.

Der auf dieser Grundlage erwachsene Erstattungsanspruch ist auch dann gegeben, wenn entsprechend dem Vorbringen der Revision davon ausgegangen wird, dass eine Steuerschuld der Unternehmerin nicht besteht.

Der Leistungsempfänger darf im Verhältnis zum Leistenden den Abzugsbetrag auch dann an das Finanzamt abführen, wenn die steuerrechtliche Lage zur Zeit der Zahlung an das Finanzamt ungeklärt ist. Die Unklarheiten der steuerrechtlichen Lage betreffen in erster Linie das steuerrechtliche Verhältnis zwischen Werkunternehmer als Steuerschuldner und der Finanzbehörde. § 48 EStG schaltet den Besteller als zunächst Außenstehenden lediglich in die Abwicklung dieses für ihn fremden Steuerverhältnisses ein. Demgemäß können nicht ihm die Risiken solcher Unklarheiten auferlegt werden; diese müssen vielmehr dem Steuerschuldner verbleiben. Der danach gebotene Schutz des Bestellers vor Gefahren, wie sie durch doppelte Inanspruchnahme, gerichtliche Auseinandersetzungen einerseits mit den Finanzbehörden, andererseits mit dem Gläubiger der Werklohnforderung etc. drohen, wird interessengerecht dadurch gewährleistet, dass der Besteller den Steuerabzug nach § 48 EStG unter den genannten Voraussetzungen auch dann vornehmen kann, wenn die steuerrechtliche Lage nicht geklärt ist. Nur dann, wenn für den Leistungsempfänger aufgrund der ihm im Zeitpunkt der Zahlung bekannten Umstände eindeutig erkennbar ist, dass eine Verpflichtung zum Steuerabzug nach § 48 EStG für ihn nicht besteht, hat ein Steuerabzug zu unterbleiben. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen hat die Revision nicht vorgetragen. Dass eine etwaige auf dem zwischen Deutschland und Österreich bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen beruhende Steuerbefreiung der Unternehmerin an der Verpflichtung der Bestellerin zum Steuerabzug nichts änderte, folgt unmittelbar aus § 48d Abs. 1 Satz 6 EStG.

Aus den vorstehenden Erwägungen kommt es nicht darauf an, ob die Regelungen der §§ 48 ff. EStG mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar sind.

Dem Besteller ist dieser Erstattungsanspruch auch zuzuerkennen, obwohl er seiner Pflicht zur Erteilung einer ordnungsgemäßen Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG und in diesem Rahmen seiner Pflicht zur Vorlage der unterschriebenen dritten Ausfertigung noch nicht nachgekommen ist.

Der Leistungsempfänger muss gegenüber dem Leistenden gemäß § 48a Abs. 2 EStG über den Steuerabzug abrechnen, um diesem die Anrechnung des Abzugsbetrages bei den eigenen Steuern gemäß § 48c Abs. 1 EStG oder die Erstattung gemäß § 48c Abs. 2 EStG zu ermöglichen. Zur Erfüllung dieses Abrechnungsanspruchs genügt es, wenn der Leistungsempfänger dem Leistenden den Durchschlag der Anmeldung, die sogenannte dritte Ausfertigung, überlässt.

Der Erstattungsanspruch des Bestellers hat nicht zur Voraussetzung, dass dieser zuvor seiner Abrechnungspflicht gegenüber der Unternehmerin gemäß § 48a Abs. 2 EStG nachgekommen ist. Der Besteller ist nicht vorleistungspflichtig. Sein Erstattungsanspruch ist bereits daraus erwachsen, dass er dem Unternehmer den vollen Werklohn entrichtet und zusätzlich für dessen Rechnung die 15%ige Bauabzugsteuer an das Finanzamt gezahlt hat. Dem Umstand, dass der Unternehmer mangels Erteilung einer ordnungsgemäßen Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG noch nicht gemäß § 48c EStG mit dem Finanzamt abrechnen kann, kommt für die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs des Bestellers keine Bedeutung zu. Denn damit soll lediglich der Zustand hergestellt werden, wie er bei Einbehalt der Bauabzugsteuer vom Werklohn des Unternehmers bestanden hätte.

Dem Unternehmer steht dem Besteller wegen seines Anspruchs auf eine ordnungsgemäße Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG ein Zurückbehaltungsrecht zu.

Als Grundlage für eine Zurückbehaltung des Erstattungsbetrages ist allein auf § 273 Abs. 1 BGB und nicht auf § 320 Abs. 1 BGB abzustellen. Der Erstattungsanspruch des Bestellers und der Abrechnungsanspruch des Unternehmers beruhen zwar auf “demselben rechtlichen Verhältnis” im Sinne des § 273 Abs. 1 BGB, stehen aber nicht in einer synallagmatischen Verknüpfung, wie dies für das Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 Abs. 1 BGB Voraussetzung wäre.

Der Unternehmer ist nicht vorleistungspflichtig.

Eine Vorleistungspflicht lässt sich nicht mit dem Argument begründen, der Unternehmer habe den vollen Werklohn nur versehentlich vom Besteller erhalten. Dies lässt ein schutzwürdiges Interesse des Unternehmers daran, den Erstattungsanspruch des Bestellers nur Zug um Zug gegen Erteilung einer ordnungsgemäßen Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG erfüllen zu müssen, nicht entfallen. Der Zweck des Zurückbehaltungsrechts, den Schuldner in erster Linie davor zu schützen, einseitig leisten zu müssen auf die Gefahr hin, die ihm gebührende Leistung nicht zu erhalten, trifft auch für den Abrechnungsanspruch des Unternehmers nach § 48a Abs. 2 EStG zu. Ohne Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG kann der Unternehmer nicht mit dem Finanzamt nach § 48c EStG abrechnen. Den berechtigten Schutzinteressen des Bestellers ist demgegenüber auch mit Blick auf das Insolvenzrisiko des Unternehmers hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass der Besteller sich wegen seines Erstattungsanspruchs ebenfalls auf ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB gegenüber dem Abrechnungsanspruch des Unternehmers berufen kann. § 273 Abs. 1 BGB gewährt dem Schuldner das Recht, seine Leistung zu verweigern, bis der ihm gegenüber aus demselben rechtlichen Verhältnis verpflichtete Gläubiger leistet. Die beiderseitigen Leistungspflichten werden in der Weise verknüpft, dass der Schuldner seine Leistung so lange zurückhalten kann, bis er vom Gläubiger wegen seiner Forderung befriedigt wird und umgekehrt. Damit sich die beiden Leistungspflichten nicht gegenseitig blockieren, führt die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts zur Erfüllung Zug um Zug, § 274 Abs. 1 BGB.

Der Hinweis, § 48a Abs. 2 EStG betreffe nur die 15%ige Bauabzugsteuer, nicht aber die Rückerstattung zuviel gezahlten Werklohns, ist für die Frage der Vorleistungspflicht des Unternehmers unbehelflich. Gleiches gilt für die Erwägung, die Möglichkeit einer zeitnahen Abrechnung des Leistenden mit dem Finanzamt nach § 48c EStG sei nur dann sachgerecht, wenn der Leistungsempfänger nur 85 % des Werklohns und nicht – wie hier – 100 % an den Leistenden gezahlt habe. Muss der Unternehmer den Abzugsbetrag erstatten, dann steht er wirtschaftlich wieder so, als hätte der Besteller nur 85 % des Werklohns an ihn gezahlt.

Auch mit der gegebenen Hilfsbegründung kann ein Zurückbehaltungsrecht der Unternehmerin nicht ausgeschlossen werden.

Das Zurückbehaltungsrecht als besonderer Anwendungsfall des Verbots unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) darf nicht in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise ausgeübt werden. Es liegt aber kein Sachverhalt vor, der es rechtfertigen könnte, im konkreten Fall die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts als treuwidrig zu werten.

Das Oberlandesgericht München sieht ein treuwidriges Verhalten des Unternehmers darin, dass er seit mehr als drei Jahren einen hohen Geldbetrag an den Besteller nicht zurückbezahle, obwohl er selbst die Rückerstattung eines wesentlichen Teils dieses Geldbetrags für angezeigt halte. Hieraus lässt sich eine Treuwidrigkeit des Unternehmers nicht ableiten, denn es ist ohne weiteres mit einem Zurückbehaltungsrecht vereinbar, dass der Inhaber dieses Rechts eine Forderung – auch über einen langen Zeitraum hinweg – nicht erfüllt, obwohl er einen wesentlichen Teil der Forderung für begründet hält. Ein Zurückbehaltungsrecht hindert die Durchsetzung einer Forderung und kommt überhaupt nur dann zum Tragen, wenn diese besteht.

Ein Fall, in dem die Annahme gerechtfertigt wäre, dass das Zurückbehaltungsrecht wegen einer untergeordneten Bedeutung der Gegenforderung im Vergleich zur Hauptforderung ausgeschlossen ist, liegt nicht vor. Der Unternehmer ist zur Durchsetzung seines Anrechnungs- oder Erstattungsanspruchs nach § 48c Abs. 1 und 2 EStG gegenüber dem Finanzamt auf eine ordnungsgemäße Abrechnung nach § 48a Abs. 2 EStG durch den Besteller und in diesem Rahmen zur Vorlage der unterschriebenen dritten Ausfertigung angewiesen. Die beanspruchte Abrechnung stellt den Schlüssel für die Erstattung durch das Finanzamt dar, deren Größenordnung die Klageforderung erreichen kann.

Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB schließt den Verzug mit der Erfüllung der Leistungspflicht und damit die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen nur aus, wenn es vor oder bei Eintritt der Verzugsvoraussetzungen ausgeübt wird. Beruft sich der Schuldner erst danach auf sein Zurückbehaltungsrecht, wird der bereits eingetretene Verzug dadurch nicht beseitigt. Der Schuldner muss vielmehr durch geeignete Handlungen den Verzug beenden, zum Beispiel seine eigene Leistung Zug um Zug gegen Bewirkung der Gegenleistung anbieten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. September 2013 – VII ZR 2/13