Ein Rückgriffsanspruch des gesetzlichen Unfallversicherers gegen den Unternehmer gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII setzt voraus, dass der Unternehmer, dessen Haftung nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beschränkt ist, selbst oder durch eine in § 111 Satz 1 SGB VII genannte, in Ausführung der ihr zustehenden Verrichtungen handelnde, vertretungsberechtigte Person den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Eine Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen, die den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben, gemäß § 278 BGB kommt im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII nicht in Betracht.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall nimmt eine Berufsgenossenschaft aufgrund eines Arbeitsunfalls eines bei ihr versicherten Arbeitnehmers Rückgriff bei der Arbeitgeberin des verunfallten Arbeitnehmers, deren Geschäftsführer sowie zwei Subunternehmen. Die Arbeitgeberin, ein Mitgliedsunternehmen der Berufsgenossenschaft, war damit beauftragt, die Dacheindeckung auf mehreren Hallen in T. durch Trapezblech- platten zu ersetzen; ihr Geschäftsführer war zugleich der für das Bauvorhaben zuständige Bauleiter. war zugleich deren Geschäftsführer ist. Die Arbeitgeberin beauftragte eine Subunternehmerin und diese ihrerseits eine Sub-Subunternehmerin mit der Errichtung des zur Ausführung der Dachdeckerarbeiten erforderlichen Gerüsts. Das Gerüst wurde ohne Fangnetz und Bordbretter errichtet. Der verunfallte Arbeitnehmer war am Unfalltag als Auszubildender zum Dachdeckergesellen bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Er stürzte während der Ausführung der Dachdeckerarbeiten vom Dach, wobei die Einzelheiten des Unfallhergangs zwischen den Parteien streitig sind. Die Berufsgenossenschaft erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und erbrachte in der Folgezeit Versicherungsleistungen an den verunfallten Arbeitnehmer , der sich bei dem Unfall schwere Verletzungen zugezogen hatte.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Mühlhausen hat die Klage gegen alle Beklagten auf Ersatz der infolge des Arbeitsunfalls erbrachten Aufwendungen und Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Aufwendungen abgewiesen[1]. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Berufsgenossenschaft hat das Thüringer Oberlandesgericht unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils den auf Zahlung gerichteten Klageanspruch gegen die Arbeitgeberin – als Gesamtschuldnerin neben den beiden Subunternehmerinnen – dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Weiter hat es festgestellt, dass die Arbeitgeberin – als Gesamtschuldnerin neben den Subunternehmerinnen – verpflichtet ist, der Berufsgenossenschaft die Aufwendungen zu ersetzen, die dieser aus Anlass des Unfalls ihres Versicherten entstanden sind und zukünftig entstehen werden, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs ihres Versicherten gegen die Arbeitgeberin, der bestehen würde, wenn die Arbeitgeberin nicht nach §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegiert wäre[2]. Auf die hiergegen gerichtete Revision der Arbeitgeberin hob der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil insoweit auf, als zum Nachteil der Arbeitgeberin erkannt worden ist, und verwies die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Thüringer Oberlandesgericht zurück:
Entgegen der Auffassung des Thüringer Oberlandesgerichts besteht kein gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf die Berufsgenossenschaft übergegangener vertraglicher Anspruch des verunfallten Arbeitnehmers gegen die Arbeitgeberin auf Ersatz der infolge des Arbeitsunfalls erbrachten Aufwendungen gemäß § 618 Abs. 1, § 280 Abs. 1 BGB.
Ein solcher Anspruch des verunfallten Arbeitnehmers gegen die Arbeitgeberin scheidet – ebenso wie ein etwaiger Anspruch aus Delikt – jedenfalls gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII aus. Nach dieser Vorschrift sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Danach haftet die Arbeitgeberin gegenüber dem verunfallten Arbeitnehmer nicht. Die Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII liegen vor. Der verunfallte Arbeitnehmer ist im Rahmen seiner betrieblichen Tätigkeit als Auszubildender für die Arbeitgeberin vom Dach gestürzt und hat sich hierdurch schwer verletzt. Der Unfall ist unstreitig als Arbeitsunfall anerkannt worden. Die Arbeitgeberin gehört als Unternehmerin und Arbeitgeberin des verunfallten Arbeitnehmers zu dem Personenkreis, zu dessen Gunsten die Haftungsbeschränkung gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII eingreift. Nach den im Revisionsverfahren nicht angegriffenen Feststellungen des Thüringer Oberlandesgerichts hat die Arbeitgeberin den Versicherungsfall auch weder vorsätzlich herbeigeführt noch hat es sich um einen Wegeunfall gehandelt.
Ein Rückgriffsanspruch der Berufsgenossenschaft gegen die Arbeitgeberin aus eigenem Recht gemäß § 110 Abs. 1, § 111 Satz 1 SGB VII kann nach den bisherigen Feststellungen des Thüringer Oberlandesgerichts ebenfalls nicht bejaht werden.
Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haften Personen, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist, den Sozialversicherungs- trägern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs nur dann, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. § 111 Satz 1 SGB VII bestimmt weiter, dass die Vertretenen nach Maßgabe des § 110 SGB VII auch dann haften, wenn ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs, Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter oder Liquidatoren einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder gesetzliche Vertreter der Unternehmer in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben.
Bei dem Rückgriffsanspruch gemäß § 110 Abs. 1, § 111 Satz 1 SGB VII handelt es sich nicht um einen übergeleiteten Schadensersatzanspruch des Verletzten, sondern um einen originären, selbständigen Anspruch des Sozialversicherungsträgers, der privatrechtlicher Natur ist[3]. Der Rückgriffsanspruch setzt voraus, dass der Unternehmer, dessen Haftung nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beschränkt ist, den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Handelt es sich bei dem Unternehmer um eine juristische Person, die durch ihre Organe handelt, ist der Rückgriffsanspruch gegen die juristische Person gegeben, wenn ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs den Versicherungsfall in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Die Vorschrift des § 111 Satz 1 SGB VII begründet damit eine Haftung der juristischen Person nach Maßgabe des § 110 SGB VII, indem dieser das Verschulden ihrer vertretungsberechtigten Organe zugerechnet wird[4]. Dabei kann im Streitfall offen bleiben, inwieweit eine juristische Person nach dieser Vorschrift – vergleichbar mit der zu § 31 BGB entwickelten Repräsentantenhaftung – auch für sonstige Personen haftet, denen sie bedeutsame wesensmäßige Funktionen zur eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen hat und die in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben[5]. Denn jedenfalls findet nach § 111 Satz 1 SGB VII eine Zurechnung des Verschuldens von Personen, die als Nachunternehmer von der juristischen Person beauftragt wurden, nicht statt.
Entgegen der Auffassung des Thüringer Oberlandesgerichts kommt im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII eine – über § 111 Satz 1 SGB VII hinausgehende – Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen, die den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben, nach § 278 BGB nicht in Betracht.
Bereits Wortlaut und Systematik der §§ 110, 111 SGB VII zeigen, dass ein Rückgriffsanspruch des Sozialversicherungsträgers gegen den Unternehmer nur bestehen soll, wenn dieser selbst oder durch eine in § 111 Satz 1 SGB VII genannte, in Ausführung der ihr zustehenden Verrichtungen handelnde, vertretungsberechtigte Person den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Der Gesetzgeber hat den Rückgriffsanspruch der Sozialversicherungsträger gemäß §§ 110 ff. SGB VII besonders ausgestaltet und dabei von einer weitergehenden Zurechnungsnorm abgesehen. Daher verbietet sich eine über § 111 SGB VII hinausgehende Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen nach anderen Vorschriften[6]. Hierfür spricht letztlich auch der Regelungszweck der Vorschriften, die präventive und erzieherische Ziele verfolgen[7] und deshalb an ein besonders zu missbilligendes Verhalten der durch die Haftungsbeschränkung gemäß §§ 104 ff. SGB VII Begünstigten selbst oder – bei juristischen Personen – ihrer vertretungsberechtigen Organe anknüpfen.
Darüber hinaus sind auch die Voraussetzungen der Verschuldenszurechnung gemäß § 278 BGB nicht erfüllt. Denn eine nach § 278 BGB erfolgende Zurechnung des Verschuldens einer Person, deren sich der Schuldner zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, setzt ein bereits bestehendes Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner voraus, aus dem sich die Verbindlichkeit ergibt[8]. Ein solches Schuldverhältnis zwischen dem gesetzlichen Unfallversicherer und dem Unternehmer besteht indes vor Eintritt des Versicherungsfalls nicht[9]. Vielmehr entsteht die hier maßgebliche, eigenständige Rechtsbeziehung zwischen diesen Personen gemäß §§ 110 ff. SGB VII erst anlässlich des Versicherungsfalls.
Nach diesen Maßstäben hat das Thüringer Oberlandesgericht einen Rückgriffsanspruch der Berufsgenossenschaft gegen die Arbeitgeberin gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII rechtsfehlerhaft bejaht.
Denn das Thüringer Oberlandesgericht hat die Haftung der Arbeitgeberin nach § 110 Abs. 1 SGB VII nicht darauf gestützt, dass der Geschäftsführer als ihr gemäß § 35 GmbHG vertretungsberechtigtes Organ den Arbeitsunfall grob fahrlässig im Rahmen der ihm zustehenden Verrichtungen herbeigeführt hat, § 111 Satz 1 SGB VII. Es hat den Anspruch vielmehr tragend allein damit begründet, dass es die als grob fahrlässig eingeordnete Errichtung des Gerüsts ohne Fangnetze oder Fanggitter durch die als Nach-Nachunternehmerin mit der Ausführung beauftragte Beklagte zu 5 der Arbeitgeberin wie eigenes schuldhaftes Handeln nach § 278 BGB zugerechnet hat, weil die Beklagte zu 5 als deren Erfüllungsgehilfin anzusehen sei.
Das Berufungsurteil war danach aufzuheben, soweit zum Nachteil der Arbeitgeberin entschieden worden ist.
Der Bundesgerichtshof kann nicht gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Das Thüringer Oberlandesgericht wird zu prüfen haben, ob der Geschäftsführer als vertretungsberechtigtes Organ der Arbeitgeberin in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen den Arbeitsunfall grob fahrlässig verursacht hat. Dabei genügt es, wenn die den Arbeitsunfall verursachende Handlung oder Unterlassung des Gechäftsführers in den ihm zugewiesenen Aufgabenbereich fällt; nicht erforderlich ist, dass es sich um eine spezifische Tätigkeit im Rahmen der Vertretungsberechtigung handelt[10]. Es wird daher entscheidend darauf ankommen, ob der Geschäftsführer, der nach den Feststellungen des Thüringer Oberlandesgerichts für die Arbeitgeberin die Bauleitung erbracht hat, im Rahmen seines Aufgabenbereichs grob fahrlässig gegenüber dem verunfallten Arbeitnehmer bestehende vertragliche Schutzpflichten und Verkehrssicherungspflichten der Arbeitgeberin verletzt und hierdurch den Arbeitsunfall (mit)verursacht hat.
Die Sache war daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Thüringer Oberlandesgericht zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Dezember 2021 – VII ZR 170/19
- LG Mühlhausen, Urteil vom 19.01.2016 – 3 O 708/13[↩]
- ThürOLG, Urteil vom 11.07.2019 – 1 U 113/16[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 15.05.1973 – VI ZR 160/71, VersR 1973, 818 31 zu der Vorgängerregelung der §§ 640, 641 RVO; vgl. auch BGH, Urteil vom 18.11.2014 – VI ZR 47/13 Rn. 35, BGHZ 203, 224[↩]
- vgl. allgemein hierzu z.B. Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand: September 2020, § 111 Rn. 1, 9; BeckOK Sozialrecht/Stelljes, Stand: 1.06.2021, § 111 SGB VII Rn. 1[↩]
- dies bejahend z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.03.2010 – 12 U 91/09, BeckRS 2011, 23044[↩]
- vgl. im Ergebnis ebenso OLG Rostock, Urteil vom 18.05.2000 – 1 U 168/99 50 a.E. zu der Vorgängerregelung der §§ 640, 641 RVO; Marschner, BB 1996, 2090, 2092[↩]
- vgl. dazu z.B. BGH, Urteil vom 15.07.2008 – VI ZR 212/07 Rn. 31 m.w.N., NJW 2009, 681[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 07.03.1972 – VI ZR 158/70, BGHZ 58, 207 14; RG, Urteil vom 09.05.1939 – VII 251/38, RGZ 160, 310, 314[↩]
- vgl. Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand: September 2020, § 111 Rn. 1[↩]
- vgl. KassKomm/Ricke, 115. EL Juli 2021, SGB VII § 111 Rn. 5 a.E.; vgl. auch BGH, Urteil vom 21.09.1971 – VI ZR 122/70, NJW 1972, 334 18 zu § 31 BGB[↩]